Liebesfreuden und -leiden (B69)

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Liebesfreuden und -leiden (B69)

AutorIn Anon.
Entstehungszeit
Entstehungsort
AuftraggeberIn
Überlieferung Wien, Österreichische Nationalbibliothek: 2796, 74r-89r
Ausgaben
Übersetzungen
Forschung Klingner, Jacob/Lieb, Ludger: Handbuch Minnereden, S. 119-122

Inhalt

A Liebesbekenntnis und Minnewerbung (Str. 1–74):

Der Monolog setzt in Form eines Liebesbriefes ein: Der Sprecher apostrophiert seine Geliebte in einem Überbietungstopos als irdisches summum bonum (1,1f.: O zart ob allen wiben, | uff erd min höhster hordt) und bittet sie, sein Schreiben zu vernehmen und zu beherzigen. Er erklärt ihr seine Liebe, die sein Herz verwundet und ihn mit ihrer Minne entflammt habe. Darauf folgt ein Ineinandergreifen von Liebesbeteuerung, Frauen- und Minnepreis, Minnereflexion und Liebesklage (in erster Linie über die räumliche Trennung von der Dame und die Unmöglichkeit der Erfüllung ohne Verlust der ere). Abwechselnd spricht das Ich seine Angebetete und die Minne an. Meistens erscheint die Liebe als dienst- und wan-minne im Sinne des klassischen Minnesangs, was sich auch an der Motivik bzw. Topik erkennen lässt (Verstummen in der Gegenwart der Geliebten, tödliche Minnekrankheit, Verzicht auf das Liebesglück zugunsten der ere der Dame, Traum von der Geliebten/von der Minneerfüllung, Kaisertopos, Minnegefangenschaft). Thematisiert werden vor allem die Entstehung der Minne (wie sie durch die Augen in das Herz des Liebenden eindringt), ihre Macht, ihre positive, veredelnde und wertsteigernde Wirkung auf den Liebenden sowie Minnetugenden. Neben der Dienst- und Kriegsmetaphorik kommen vereinzelt geistliche Motive vor (Str. 4: Orden der Minne, 12: Dame als Heil, 17: gottgewollte Macht der Minnedame über den Sprecher, 25: tägliche Verdreifachung der Minne). Unter den besprochenen Tugenden der Minne geht der Sprecher ausführlich auf die Ausschließlichkeit, aufrichtige Treue und die Beständigkeit im Minnedienst ein. Dies erfolgt beispielsweise über die Höfisierung von Exempelfiguren aus dem Alten Testament (29–31): Wie der von der Liebe bezwungene Jakob dem Laban um die Geliebte Rahel jahrelang gedient und schließlich seinen Lohn bekommen habe, so wolle er an der Minne auch nicht verzagen. Da sich die Vollkommenheit der Geliebten nicht mit Worten schildern lasse (Unsagbarkeitstopos 73,3f.), wolle der Sprecher nun die Werke tun, von denen er in seinem Gedicht immer wieder gesprochen habe.

B Minneklage (Str. 75–114):

Ohne dass hier eine klare Zäsur erkennbar wäre, lässt sich im Folgenden beobachten, dass der Dualismus von Freude und Leid in der Minne thematisch dominiert. Der Sprecher apostrophiert die Minne als süßes Wort und klagt ihr den Verlust seiner Freude: Einst sei die Liebe der Schatz seiner Freuden gewesen, nun habe sie sich in Leid verwandelt und mit Leid gemischt (86: auch der zuckersüße Geschmack der Liebe sei zu Galle geworden). Dies sei jedoch lediglich die verdiente Buße für seine Maßlosigkeit seiner Liebe. Sein Herz sei leer an Freude und mit Leid überladen, es bade sich oft in Tränen, doch seien Freude und Leid in der Liebe nicht voneinander zu trennen (81,1–4: Doch will ichs schaiden nicht: | lieb, laid ain annder erbt. | liebß peste züversiht | ist laides sucht, die mich so ser verderbt; vgl. 90,1f.: »Lieb, layd« gesilbet glich | sind an kurtz unnd an lang). Der Sprecher wünscht, er hätte die Liebe niemals empfunden, weil sie ihm unverdientes Leid zugefügt habe. Jedoch wolle er das Leid gerne ertragen, solange sie ihn nicht von der Liebesfreude trenne. Er fleht Gott an, ihm die Liebe nicht zu rauben und seinen Zorn an ihm nicht durch die Liebe zu rächen (85f.) und wünscht sich, Gott möge die Liebe als Quelle aller guten Dinge zur Freude aller Menschen belohnen (91). Wer sich auf die Liebe einlasse, solle wissen, dass ihm die Freude mit Leid bestraft werde, was nur Gott abwenden könne. Leid beginne mit der Liebe, komme wie ein Dieb und stehle die Freude mit seinem schmerzlichen Gruß. Allein der (Liebes-)Tod könne Freude und Leid ein Ende setzen. Man solle zugleich auch wissen, dass seine Liebe niemals aufgehört habe, zuzunehmen. Seine Herrin könne ihn zwar von seinem Leid befreien, doch müsse er trotz des Liebesschmerzes ihre Ehre berücksichtigen (101,6f.: wye ser mich laid zwingt | so liept mir doch die er minr werden tocken [Puppe]; dieselbe Bezeichnung auch 138,1: die werden togken). Für das ertragene Leid entschädige die Liebesfreude, so dass er erst dann der Gefangene des Leids sein könnte, wenn er sein Vorbild, die Dame, verlöre. Dennoch überwiege meistens der Schmerz. Daher richtet sich seine Bitte an den Engel Gottes, dass er ihn vor dem Hammer (104,4: tengel) des Leidens in der Schmiede seines Herzens beschütze.

C Totenklage (Str. 115–164):

Im letzten Teil dominiert das Thema des Todes. Der Sprecher sehnt sich nach der unvergleichlichen Freude, denkt aber vor allem an den Schmerz, den der Tod der Geliebten erzeugen würde und der mit der Sehnsucht gesippet (115,5) wäre. Er empfinde nun Leid ohne Hoffnung. Der Tod, der niemals scherze, habe ihn seiner Freude und seiner Liebe beraubt. In direkter Anrede des Todes klagt der Sprecher über dessen Macht: Bereits in seiner Jugend habe der Tod ihn sehr beraubt und im Alter habe er ihm seine untugent (118,3) gezeigt. Zwar habe seine Kraft den Verlust in der Jugend ertragen können, doch habe ihm der Tod erst mit dem Raub seines Vorbildes (=Geliebte?) den Verstand und allen Trost genommen (119,6f.: ich hab verlorn den pildner | das ich mit offenn ougen stee geplenndet; vgl. 127,5, wo die Geliebte ebenfalls pildner genannt wird). Nichts als Jammer und Leid erbe er vom Tod, der wertvolle Jugend und Vortrefflichkeit zugrunde gerichtet habe. Zwar lache der Sprecher oft vor den Leuten, doch ›erkrachten‹ (121,3) vor Schmerzen all seine Glieder. Er lobt die Tugendhaftigkeit, die Frömmigkeit und die guten Taten der Geliebten und bittet Gott um die Vergebung der Sünden, die sie mit lieb (123,2) begangen haben könnte. Ihn habe die Dame von der ihm angeborenen Sünde (127,2f.: misßthaut, die mir an porn | was; Erbsünde?) gereinigt, die Heldentaten zur Stärkung des Glaubens habe sie angespornt, wenn sie von ritterschafft unnd eren (128,2) gelesen und gehört habe. Wegen ihres Drangs nach dem Guten und Ablehnung des Bösen habe der Sprecher sie oft einen von Gott gesandten Engel genannt (129). Mit ihren Worten habe sie die Minne versüßt, sie sei ein zuchtmaister aller schanden fry (133,4) gewesen, habe mit Weisheit andere Damen und Männer oft belehrt und Gott über alles geliebt. Ihr Tod habe den Sprecher in maßloses Leid gestürzt und er müsse nun Schmerz empfinden, wenn er tugendhaften Damen begegnet. Doch betreffe der Verlust nicht nur ihn, sondern sei ein Schaden für das ganze Land (140). In direkter Anrede an die Liebenden bittet er diese, ihm beim Trauern um ihren Tod zu helfen (144,2: ir minner, helfft mir clagen!). Daraufhin folgt eine durch Klageelemente und Segenswünsche für die Seele der toten Geliebten unterbrochene Minnelehre. Der Sprecher warnt vor der Unminne, d.h. vor der ungezähmten Minne (150: Gleichnis vom Fohlen, das gezähmt werden muss), und bietet sich als Exempel makelloser Liebe (152) an. Zugleich preist er die Minne als edel und dankt ihr dafür, dass sie ihn begnadet habe. Obwohl ›Herz und Sinn‹ zur Unminne neigten, würde die Minne letztlich doch siegen, denn Gott selbst habe die rechte Minne in einer Klause eingeschlossen (157,5: das minn so gar ist becluset) und dort bei ihr gewohnt (157,7: gott selb haut da behuset); dafür danke er Gott. Zuletzt wendet sich der Sprecher an Maria: Der Urheber der Unminne habe, wie die Bibel sagt, seinen Willen gehabt und die Liebenden hätten dadurch große Sünde begangen. Diese bleibe aber auf gedanklicher Ebene, denn zur Tat sei es um Gottes und der Ehre willen nicht gekommen (Sinn unklar). Er bittet die Jungfrau und ihr Kind um Abwendung der Strafe. – Zum Schluss versichert der Sprecher, dass sein Schmerz größer würde, falls er schlecht gedichtet hätte. Seine Zunge habe sich nach dem Herzen gerichtet, und er habe sein als Dienst verstandenes Gedicht in wahrer Minne vollendet, auch wenn ihn das Leid am Ende überwältigt habe. Er dankt der Jungfrau, dass seine Minne niemals durch Unminne entehrt worden sei. Nach dem Verlust seiner Geliebten wolle er sich Maria ergeben, der er sich selbst und seine Geliebte anvertraue. Aufgrund der Keuschheit ihrer beider Liebe erbitte er (wiederum für beide) die Gnade der Gottesmutter und einen Segenswunsch von den Menschen/dem Publikum: sprecht unns zü hylffe: »amen!« (164,6), damit ihre Minne in der Minne Mariens verschlungen werden möge.

(Klingner, Jacob/Lieb, Ludger: Handbuch Minnereden, S. 119-121)