Bär, Fuchs und Hirschkuh (Erzählstoff)

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Bär, Fuchs und Hirschkuh; Fuchs und Hindin

(Erzählstoff)

Regest Um dem hungrigen Bären Beute zu verschaffen, redet der Fuchs der Hirschkuh den Wunsch nach Hörnern ein, die der Bär anbringen könne; der Hirsch bringt die Hirschkuh von ihrem Wunsch ab. (Dicke, Gerd/Grubmüller, Klaus: Die Fabeln des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, S. 51)
Fassungen Buch der natürlichen Weisheit (Ulrich von Pottenstein), Nr. II, 11
Spiegel der wyßheit (Sebastian Münster), Nr. II, 11
Spiegel der natürlichen weyßhait (Daniel Holzmann), Nr. 38
Forschung
(s.a. unter Fassungen)
Dicke, Gerd/Grubmüller, Klaus: Die Fabeln des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, S. 51; Günthart, Romy (Hg.): Sebastian Münster, Spiegel der wyßheit, Band 2, S. 68


Die Fabel enthält als Binnenerzählung des Hirschen auch die Fabel Bär, Wolf und Mensch.

Lateinische Version (Cyrillus, Nr. I, 11), 1. Hälfte 14. Jhd.

Die deutsche Tradition baut auf einer lateinischen Quelle auf (Cyrillus, Nr. II, 11 (Grässe, Johann Georg Theodor (Hg.): Die beiden ältesten lateinischen Fabelbücher des Mittelalters. Tübingen 1880, S. 46-48)).

Cyrillus: Speculum Sapientiae[1] Übersetzung[2]

Contra appetitum dignitatis.

Latitanti urso famelico, ut praedam aliquam deglutiret, magistra fallaciae vulpes, pia impio subvenire cum putat, ad eum cervam solivagam arte doli sic conabatur afferre. "Nimirum", inquit, "vultu placidam, cervice altam, pelle politam, pede validam, proportione decoram parens te formavit natura, unum tantum perfectae venustati minus est, quia cornibus cares! Neque enim certe infirmo sexui tam superba et tuta debuit armatura deesse, maxime cum eam concesserit simul vaccae. Aut forte livoris nescia quaedam reliquit arti natura. Simia quidem suppletiva arte induitur et magisterio aurum et argentum politur. Si vis ergo perfici cornu, audi monitum et imitare ductum, quoniam ad magistrum te dirigam iam expertum." At illa non tam mobilitate feminea quam volens cornu sequebatur mendacem, sed pia sorte dolo captae fuit obvius cervus, qui miratus de socia dixit: "Quo vulpinam sequeris caudam?" Cui cerva: "Quippe tanto duce ad ursum tendo, ut sicut et tu cornibus gaudeam: An solus apparere vis superbia masculina?" Ad hoc ille astutus utriusque sentiens fastum et dolum, amicae compassus totum suum fundit nisum exhortatu dixitque: "Nempe propter cornua ursus dedit quiete virtutis auriculam. Cave, ne tu deterius amittas pellem et vitam! Ursus namque interrogatus a lupo, ut quid faciem pronam ferret, respondit: "Quia habeo debile caput." Cui lupus ait: "Muni ipsum cornibus, his ergo caput armavit natura bovinum. Vade ad hominem arte dotatum et ponet." Quo invento magister ait: "Solve pro labore, volo hoc, quod dare non noceat; si brancham peterem, non dares. Da mihi aures et nil tibi nocet!" Quo volente scidit eas et ferens malleum, ut perforaret cranium eius, audivit: "Fatuusne sum, ut perfores mihi caput?" Qui ait: "Aliter tibi cornua non ponuntur." Tunc ursus abbreviatis auribus inquit: "Bene enim fatuus qui cornua cupit. Perdit enim, ut video, caput discretionis et aures quiete virtutis." Et sic abscissis auribus sine cornibus abiit illusus. An ignores, quod, dum amittit cornua luna, fit lumine vacua et cornuta Moysi facies contuitus liberi dulcedine et velamento est privata? Illaqueatur quidem vacca per cornua aratro et bos servus sub duro iugo assidue duci solet per cornua. Non attendis, quod nulli caelestium praeter trapotam cornu pondus apponitur? Sed eo dumtaxat nos terreni gravamur. Quamobrem et ego serpentis haustu comburor interius, ut possim vetustatis pondus deponere cornu. Quid plura? Bestialitas quidem communis ostenditur aut cornu aut cauda. Depone igitur fastum et fuge cornu, ne dira te laniet ungula ursus. Quibus intellectis mox dimissa vulpe secuta est cervum.

Gegen das Verlangen nach würdevoller Pracht.

Ein Fuchs, ein Meister im Täuschen, versuchte einem hungrigen Bären, der sich versteckt hielt, um eine Beute zu verschlingen, eine allein umherstreifende Hirschkuh mit listigem Trick folgendermaßen zuzuführen, wobei er pflichtbewußt dem Bösen zu helfen glaubte. "Zweifellos", sagte er zu ihr, "hat dich Mutter Natur mit friedlicher Miene, hohem Nacken, glänzendem Fell, kräftigem Fuß und schönem Ebenmaß geschaffen, nur eines fehlt der vollkommenen Schönheit, daß du kein Gehörn hast. Gewiß dürfte dem schwachen Geschlecht eine so prächtige und der Sicherheit dienende Ausrüstung nicht fehlen, zumal sie sogar der Kuh zugestanden wurde. Oder aber die Natur hat neidlos der Geschicklichkeit Spielraum gegeben. Der Affe ist allerdings mit einer zusätzlichen Geschicklichkeit ausgestattet, Gold und Silber werden durch Meisterschaft geglättet. Wenn du also durch ein Gehörn vollkommen werden willst, höre auf meine Ermahnung und folge meiner Führung, da ich dich zu einem schon erprobten Meister lenken will!" Jene aber folgte dem Lügner nicht so sehr aus weiblichem Leichtsinn, sondern weil sie das Gehörn haben wollte. Doch durch ein gütiges Schicksal kam ihr, die durch die List geblendet war, ein Hirsch entgegen, der über seine Gefährtin verwundert sagte: "Wohin folgst du diesem Fuchsschwanz?" Die Hirschkuh antwortete ihm: "Ich bin mit diesem Führer unterwegs zum Bären, damit ich mich wie auch du eines Gehörns erfreuen kann. Oder willst allein du dich mit männlichem Stolz zeigen?" Aus Mitleid mit seiner Freundin verwandte darauf der schlaue Hirsch, der den Hochmut und die List beider erkannte, seine ganze Kraft darauf, sie eindringlich zu ermahnen, und sagte: "Der Bär hat doch wegen Hörnern das kleine Ohr kampflos hergegeben. Gib acht, daß du nicht, was noch schlimmer wäre, Fell und Leben verlierst! Als der Bär nämlich vom Wolf gefragt wurde, warum er sein Gesicht so gesenkt halte, antwortete er: "Weil ich einen schwachen Kopf habe." Der Wolf sagte zu ihm: "Statte ihn mit Hörnern aus, mit diesen hat doch die Natur den Kopf der Rinder versehen. Geh zum Menschen, der diese Kunst beherrscht, und er wird sie dir aufsetzen." Sowie er ihn gefunden hatte, sagte der Meister: "Zahle für die Arbeit! Ich will das, was dir nicht schaden kann, wenn du es hergibst. Wenn ich eine Pfote verlangen würde, würdest du sie mir nicht geben. Gib mir die Ohren, das schadet dir nicht!" Mit dessen Einwilligung schnitt er sie ab und, als er einen Hammer brachte, um seinen Schädel zu durchbohren, hörte er ihn sagen: "Bin ich denn ein Dummkopf, daß du mir den Kopf durchbohren willst?" Er sagte: "Anders können dir die Hörner nicht verpaßt werden." Da sagte der Bär, dem die Ohren abgeschnitten worden waren: "Wer Hörner haben will, ist wirklich ein Dummkopf. Er verliert nämlich, wie ich jetzt sehe, das Hauptmerkmal der Unterscheidung und kampflos die Ohren." Und so ging er ohne Ohren und ohne Hörner mit Spott beladen davon. - Weißt du etwa nicht, daß, wenn der Mond seine Hörner verliert, er ohne Licht ist und daß das mit Hörnern versehene Gesicht des Moses der Faszination des freien Anblicks gerade durch die Verhüllung beraubt war? Die Kuh ist allerdings der Hörner wegen an den Pflug gefesselt und der Ochse wird gewöhnlich wie ein Sklave wegen der Hörner unablässig unter dem harten Joch geführt. Bemerkst du nicht, daß keinem Himmlischen außer der Trapota die Last eines Horns auferlegt ist? Nir wir Erdenbewohner sind damit beschwert. Deshalb brenne auch ich innerlich durch den Trank der Schlange, damit ich das Horn als alte Last abwerfen kann. Was noch: Das wilde tierische Wesen zeigt sich allgemein entweder durch das Horn oder den Schwanz. Lege deshalb deinen Hochmut ab und fliehe das Horn, damit dich nicht der Bär mit seiner schrecklichen Kralle zerreißt!" Als die Hirschkuh dis eingesehen hatte, schickte sie sofort den Fuchs weg und folgte dem Hirsch.

Deutsche Versionen

Buch der natürlichen Weisheit (Ulrich von Pottenstein), Nr. II, 11 (um 1408/16, nach Druck Augsburg, 1490)

Dyse geleichnusz ist wider dye begir der wirdigkeyt·

Das· XI· Capitel·

AIn hungeriger pere lage vast v(er)borgen in seinem luoge und spoehet vaßte mit scharpffem sehen wie im ein raub moecht wyderfaren der seinem schlunde zuo heyl kaem· Und da ein fuchß ein maister betruecklicher list de(n) unguetigen mit guetikeit zehilf wolte kommen das im grosses hungers qual etwen vil gesenfteret würd dem widerfuor ein hündt· die in dem wald allein was an irer wayde die bestuond er mit alter meisterschaft· und huob zuo reden mit ir an ob sy mit listikeyt de(n) pern für sein luoge moecht bri(n)gen· und sprach also· Fürware mich kan nit verwundern wye dich dein muotter die natur mitt lieblichem antlücz / mit aufgerecktem halß / mit schoengestrichener haut / mit schnaelle(m) lauf / mit wolgefuegter lidmaß aller deiner gelider hat loblich un(d) preyßlich geschaffen· Nun[3] ein gepraeßten liget deiner natürlichen volkommenheit noch auß das Du nit preißlich und zierlich gehürnet bist als billich waer· Seyder doch die hirchsse(n) deiner schlacht in hohem preiß gehürnet seind Und die ungestalten kue seynd mit horen geziert unnd gewafnot das sy des sicher seind aber doch so moecht das vil wol seyn das die natur on allen neyd der hochkunstreichen maisterschafte etwas an dir zuo würcken het verlassen / Wann du sihest wol wie der ungestalt Aff vo(n) natur hinden und vornen mit maisterschaft beklaidet un(d) geziert wirt Auch werde(n) silber und gold un(d) edel gestain mit maisterschafft gepoliert und durchfein· wiltu nun der gehürneten zier gepreyset und volkommen werden so hoer mein ler un(d) volg mir nach / wann ich dich zuo eym pern d(er) ei(n) bewaerter maister in den künste(n) ist nach ei(n) kurczen weg pringe Nu(n) wz die hünt d(er) horn begirig die begrif on als bedencke(n) leibes muotes unstaetikeit· un(d) volgt de(m) lug prediger nach· Nun fuegett es sich do der betrogen hünden zuo heyl das ir ein freyer hirchße an dem weg engegen drabet de(n) verwundert so ungeleicher gesellschaft· Der sprach czuo seiner genossen Sag mir du betrogen wo lait dich der füchsisch schwa(n)cze hin oder wem volgest du nach· Do sprach die hünt auß freyem muot· Ich will mit im zuo eine(m) pern geen / der ist so gar ein maister das er das an mir würcken kan das ich so hoch gehürnett wird als du· Und alls du dych der deinen freüest / also wird auch ich erfreüt· Oder sag mir mainestu allein in unser schlacht gehürneter prangen als ein hochtragender man / wes soellen dan(n) die weib entgelten den soelliches gefert auch zymlich ist· Die wyderred der hündin pracht de(m) hirchsen ain getreües mitleide(n) des das sy bis in den tode betrogen was / wa(n)n er was des pern un(d) des fuchß gevaerlichen listigkeit ee geinnert / und leget ganczen fleiß darzuo wie er die begirigen soellicher wirdikeit underweißt und bewaret das sy dem frayßsamen pern icht zuo handen kaem und sprach also zuo ir· Wayßtu nit das der wuetend per sein ore(n) verlorn hat / darumb das er begeret wie er vest gehürnet würde zuo der kraft die er in natürlycher aigenschaft enpfangen het Nun moecht sich das gar leycht fuegen das du in der begir der gehürneten wirdikeit leib und leben on alle hilf verlurest· Hoere und laß dich weysen wie d(er) per zuo einen zeiten von dem wolf gefraget ward warumbe im das peürisch antlücz vast undersich zuo der erden hieng· Do sprach d(er) per· das würckt an mir kranckheit des haubts das mir gar suchtig ist· do sprach der wolf / laß dir horen gar vestiklich darane seczen / wann dye Ochssen seind mit hoerner vast gewapnot / darumb so suoch dir einen buoch arczet der schoene horn machen ka(n) der hilft dir zuo einem zyerlichen gehürn· Do ein maister soellichs erfunden ward der sprach zuo de(m) krancken des haubts· Schoepff ein lon der pillich sey soellich meisterschaft zuo widerwege(n) ob du hoerliche horn auf einem gesunden haubt gewunnest· Do sprach der per· Ich gib dir meyner gelider weliches du voderst des ich doch nichtt gar czuo grossem schaeden naem· Do sprach d(er) mayster baet ich dich unnd vodert an dich die klaue(n) des tuo ich nit we(n)n daz kaem dir zuo grossem un(d) merckliche(m) schaden· Gib mir die ore(n) der bedarfest du nit und nymst ir keinen schaden· Das taet d(er) per mit willen und mit freüden Un(d) ließ im de(m)[4] O maister beyde orn abschneide(n) / darumb das er im machte zway veste horen· Doch sich nun daz vergangen het da nam der maister ein scharpffen naepper un(d) ein hamer das er im mit dem naeper das haubt durchporete und die horn mit dem hamer gar veste darinn vernuetett Do des d(er) per geinnert ward da sprach er gar trauriklich· ich habe beyde orn v(er)lorn des hat mych meiner tu(m)mer syn verlaytet· Nu(n) waer ich vil ein groesser thor und ließ ich mir das haubt durchporn daru(m)b das ich gehürnet würde· Do sprach der maister· Du mueßt das leiden wilt du gehürnet sein wol / damit ward d(er) Per seiner oren bezalt· Darbey merck mein liebe schwester wz du tuest / od(er) wo du hi(n)geest / wa(n)n die würde d(er) du begerst braechtt dich on allen zweifel vom leben in den tod / od(er) waistu nit wenn d(er) mon gehürnet ist so ist er auch des liechtes laer / und ist auch keiner der himlischen planeten gehürnet dann d(er) Mon so er des liechtes beraubet ist· Auch warde das gehürnet antlücz Moysi / lieplicher sueß und lustiges ansehens gancz beraubt / wann dye juden mochten in nit ansehen da er von dem berg gienge die weile und er gehürneter mit seinez antlücz erschein· Od(er) waystu mit das die kue mit den hoernern zuo dem tod gezogen werden unnd gehalten· und der ochs des pfluoges knecht wirt mit de(n) hoernern an das joch gebunden darunder er gar schwaere purde taeglicher arbeit muoß trage(n)· Auch soltest du des pillich glert sei(n) wie uns die wilde(n) thier die hoerner überladen und zuo der erden naygen / Und werden auch dick und oft damit in den tod verflochte(n) un(d) verstrickt· Waystu nit von mir wa(n)n die horn mit irer groeß all zesere beschwaeren das ich nach ler der natur mich selber inwendiges anzünde mit einer güfftigen schlange(n) die ich in mich zeühe / wa(n)n die würckt das an mir das mir die oren reysen und vo(n) dem haubt vallen· Wz mag ich dir mer sagen dann das gemeyne zaichen eins thierische(n) gefertes vor allen zaichen gehürn un(d) la(n)g schwaencz seind· Do des die hündt underweyset ward Do verließ sy den listigen fuchß un(d) volget dem trüen irem ratgeber dem hirchssen nach·

Miniaturen und gedruckte Bilder

Buch der natürlichen Weisheit (Ulrich von Pottenstein)

Spiegel der natürlichen weyßhait (Daniel Holzmann)

Verwandte Erzählstoffe

Bär, Wolf und Mensch (Erzählstoff)

Der Bär will sich auf Anraten des Wolfes von einem Menschen Hörner aufsetzen lassen und muss dafür mit dem Verlust seiner Ohren bezahlen. (Dicke, Gerd/Grubmüller, Klaus: Die Fabeln des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, S. 52)

Unzufriedener Hase (Erzählstoff)

Der unzufriedene Hase klagt Gott seine Wehrlosigkeit und erhält das erbetene Hirschgeweih; das Gewicht des Geweihs hindert ihn nun aber an der Flucht. (Dicke, Gerd/Grubmüller, Klaus: Die Fabeln des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, S. 295f.)

Kamel und Jupiter (Erzählstoff)

Das Kamel bittet Jupiter, ihm wie den Ochsen Hörner zu geben; zur Strafe für diese Unzufriedenheit mit seiner natürlichen Ausstattung nimmt ihm Jupiter auch noch die Ohren. (Dicke, Gerd/Grubmüller, Klaus: Die Fabeln des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, S. 383)

Anmerkungen

  1. Zitiert nach Esser, Birgit/Blanke, Hans-Jürgen (Hg.): Speculum Sapientiae, S. 102-104.
  2. Zitiert nach Esser, Birgit/Blanke, Hans-Jürgen (Hg.): Speculum Sapientiae, S. 103-105.
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