Dornbusch und Feigenbaum (Erzählstoff): Unterschied zwischen den Versionen
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| namen = Dornbusch und Feigenbaum<!--Möglichst alle Bezeichnungen des Stoffs, die in der Forschung gebräuchlich waren bzw. sind, in alphabetischer Reihenfolge, abgetrennt mit ";"--> | | namen = Dornbusch und Feigenbaum<!--Möglichst alle Bezeichnungen des Stoffs, die in der Forschung gebräuchlich waren bzw. sind, in alphabetischer Reihenfolge, abgetrennt mit ";"--> | ||
| regest = Der Dornbusch rühmt sich vor dem Feigenbaum seiner frühen Blüte, der Feigenbaum aber weist auf seine Früchte hin, die besser seien als leere Blüten. ([[Dicke, Gerd/Grubmüller, Klaus: Die Fabeln des Mittelalters und der Frühen Neuzeit]], S. 81)<!--Kurzzusammenfassung des Erzählstoffs--> | | regest = Der Dornbusch rühmt sich vor dem Feigenbaum seiner frühen Blüte, der Feigenbaum aber weist auf seine Früchte hin, die besser seien als leere Blüten. ([[Dicke, Gerd/Grubmüller, Klaus: Die Fabeln des Mittelalters und der Frühen Neuzeit]], S. 81)<!--Kurzzusammenfassung des Erzählstoffs--> | ||
| fassungen = [[Buch der natürlichen Weisheit (Ulrich von Pottenstein)]], Nr. II, 23<br />[[Spiegel der wyßheit (Sebastian Münster)]], Nr. II, 23, Bl. 44v-45r<br />[[Spiegel der natürlichen weyßhait (Daniel Holzmann)]], Nr. 50, Bl. 179r-181v<!--Möglichst alle Fassungen des Erzählstoffs. Bei Einzelwerken in [[Kurzzitationen]], bei Fassungen im Rahmen größerer Werke in [[Kurzzitationen]], Nr. XX, bei anonymen Handschriften und Drucken nach dem Muster: Ort, Bibliothek: Signatur, abgetrennt mit "<br />"--> | | fassungen = [[Buch der natürlichen Weisheit (Ulrich von Pottenstein)]], Nr. II, 23<br />[[Buch von der Weisheit]], Nr. II, 23<br />[[Spiegel der wyßheit (Sebastian Münster)]], Nr. II, 23, Bl. 44v-45r<br />[[Spiegel der natürlichen weyßhait (Daniel Holzmann)]], Nr. 50, Bl. 179r-181v<!--Möglichst alle Fassungen des Erzählstoffs. Bei Einzelwerken in [[Kurzzitationen]], bei Fassungen im Rahmen größerer Werke in [[Kurzzitationen]], Nr. XX, bei anonymen Handschriften und Drucken nach dem Muster: Ort, Bibliothek: Signatur, abgetrennt mit "<br />"--> | ||
| forschung = [[Dicke, Gerd/Grubmüller, Klaus: Die Fabeln des Mittelalters und der Frühen Neuzeit]], S. 81<!--Forschungstexte zum Erzählstoff (s. Bibliographie Forschung Kleinepik), ggf. mit Seitenangaben, abgetrennt mit ";"--> | | forschung = [[Dicke, Gerd/Grubmüller, Klaus: Die Fabeln des Mittelalters und der Frühen Neuzeit]], S. 81; [[Günthart, Romy (Hg.): Sebastian Münster, Spiegel der wyßheit]], Band 2, S. 80f.<!--Forschungstexte zum Erzählstoff (s. Bibliographie Forschung Kleinepik), ggf. mit Seitenangaben, abgetrennt mit ";"--> | ||
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== Lateinische Version (Cyrillus, Nr. I, 11), 1. Hälfte 14. Jhd. == | |||
Die deutsche Tradition baut auf einer lateinischen Quelle auf (Cyrillus, Nr. II, 23 ([https://archive.org/details/diebeidenltesten00grss Grässe, Johann Georg Theodor (Hg.): Die beiden ältesten lateinischen Fabelbücher des Mittelalters.] Tübingen 1880, S. 59f.)). | |||
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|style="border-width: 1px 1px 5px 1px"|Cyrillus: Speculum Sapientiae<ref>Zitiert nach [[Esser, Birgit/Blanke, Hans-Jürgen (Hg.): Speculum Sapientiae]], S. 128-130.</ref> | |||
|style="border-width: 1px 1px 5px 1px"|Übersetzung<ref>Zitiert nach [[Esser, Birgit/Blanke, Hans-Jürgen (Hg.): Speculum Sapientiae]], S. 129-131.</ref> | |||
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Contra apparentes et contrarium existentes | |||
Spina floruit et ficus ante eam frondes suos grossos produxit. Cui mox tumefacta ex floribus spina dixit: „Ficus, ubi sunt flores tui?“ At illa respondit: „Spina, ubi sunt fructus tui?“ Et spina: „Non dedit mihi natura fructus.“ – „Nec mihi addidit flores“, ficus ait. „Sed cum flos derivetur in fructum, melius est sine flore fructum producere, quam fructu privato florem. Attamen quia non floreo, germen suavissimum gigno, namque palma mel suum non effundens in floribus parit hinc mellifluum dactylum, et canna mellea, quia flores non detulit, sic totam fructus dulcedinem intra semet ipsam recondit. Quid ergo de apparentia contrariae existentiae gloriaris? Sepulcrum quidem extra flosculis pingitur, et intus est spurcitia mortis plenum. Exacontolicus lapis hic tantillus mira floret distinctione colorum et cum delectatione inspicitur, occultae laesionis aculeo pungens tremulum oculi facit nervum. Sed ex obscuritatis nube saphirus est optimus et qui est splendidior, venditus valet minus. Onycha gemma nigra albae praeponitur et bius lapis quanto plus pallidus, tanto magis pretiosus. Itaque rerum ipsa mirabilis fabricatrix natura etiam in suis operibus apparentiam damnat. Ut quid igitur visus cupida gaudes totaliter esse florida pompa? Attende, quod aurum in internis nascitur latibulis et margarita rores caelitus in occultis ostrearum conchis gemmascit. Homo in maternis visceribus oritur et rerum substantia non videtur. De occultatis sub terra vitalem succum trahit arbor radicibus et humanae vitae latet in praecordiis fundamentum, quoniam etiam pretiosissima quaeque summae naturae invisibilia sunt. Quid plura? Magis certe gaudeo esse fructifera sine flore quam spina cum flore.“ Quibus dictis pomposam confudit. | |||
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Gegen die, die das Gegenteil von dem hervorkehren, was sie sind | |||
Ein Dornbusch stand in voller Blüte und ein Feigenbaum trieb vor ihm sein grünes Laub aus. Stolz auf seine Blüten sagte darauf der Dornbusch zu ihm: „Feigenbaum, wo sind deine Blüten?“ Aber jener antwortete: „Dornbusch, wo sind deine Früchte?“ Und der Dornbusch sagte: „Die Natur hat mir keine Früchte gegeben.“ – „Und mich hat sie nicht mit Blüten versehen“, sagte der Feigenbaum. „Aber wenn die Blüte zur Frucht führen soll, ist es besser, eine Frucht ohne Blüte hervorzutreiben, als eine Blüte, die ohne Frucht bleibt. Da ich aber nicht blühe, erzeuge ich eine süße Knospe. Übrigens bringt daher die Palme, die ihren Honig nicht in Blüten ergießt, honigfließende Datteln hervor, und das Zuckerrohr hat die volle Fruchtsüße in sich selbst, weil es keine Blüten trug. Warum also prahlst du mit deiner substanzlosen Erscheinung? Ein Grabmal wird nämlich außen mit Blumen bemalt und innen ist es voll vom Schmutz des Todes. Der so kleine Hexecontalithos erblüht in wunderbarer Farbenpracht, und wenn er mit Vergnügen betrachtet wird, trifft er mit dem Stachel, der eine verborgene Schädigung hervorrufen kann, den Augennerv und läßt ihn erzittern. Der Saphir mit einem undurchsichtigen Dunkel ist aber der Edelste, der glänzendere ist weniger wert, wenn er verkauft wird. Der schwarze Onyx-Edelstein wird dem weißen vorgezogen, und der Bius-Stein ist umso wertvoller, je blasser er ist. So hat die Natur, die wunderbare Schöpferin der Dinge, auch in ihren Werken den Schein verurteilt. Weshalb freust du dich also, begierig gesehen zu werden, daß du völlig in Blütenpracht stehst? Merke dir, daß das Gold im Inneren der Verstecke entsteht und die Perle, der Himmelstau, in Muschelschalen verborgen zum Juwel heranwächst. Der Mensch entsteht im Leib der Mutter und die Substanz der Dinge sieht man nicht. Aus verborgenen Wurzeln unter der Erde zieht der Baum den Lebenssaft und das Fundament des menschlichen Lebens verbirgt sich in der Brusthöhle, da gerade das Kostbarste der erhabenen Natur unsichtbar ist. Was weiter? Es macht mir gewiß mehr Freude, fruchtbringend ohne Blüte als ein Dornbusch mit Blüte zu sein.“ Mit diesen Worten stürzte er den Prahler in Verwirrung. | |||
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==Deutsche Versionen== | |||
[[Buch der natürlichen Weisheit (Ulrich von Pottenstein)]], Nr. II, 23 (nach Druck Augsburg 1490) | |||
'''Dise geleichnusz istt wyder die die auswendig erscheynend on innwendiges wesen·''' | |||
Das xxiii Capitel <br /> | |||
'''A'''In doren plueet ee dan(n) ein feigenpaume sein prossen hete erzaiget· Nu(n) übernaz sich der dorn seiner matten plue unnd sprach Feyge(n)baum wo seind dein plue [54vb] Er antwurt und sprach zuo im· Doren wo seind dein frücht· do sprach der doren· Die natur aller di(n)g maisterin hat mir nichtt frucht gegeben· Do sprach d(er) feygenbaum so hat sy mir nit plue gegeben· Seyd aber sich plue in frucht verwa(n)dlet so ist vil peßser frucht on plue bringen dann plue on nucz der frücht / yedoche wiewol ich nymmer blue pring so gepür ich doch gar sueß früchte zuo manigfeltige(n) nucz· Waistu nit das d(er) edel palm sein wolriechende sueß nit in dye pluomen geußt· Aber er geußet sy in dye wolgemachten tateln die seiner pluede frucht sei(n)d· Auch beschleuset der edel zucker ror alle sueße dauon in im das er der pluemen beraubet ist· Nun sage mir du eiteler doren wes ruemest du dich so türstigklichen deines außwe(n)digen glanczes / wayst du nicht wie maniges der toten greber außwendiklich gepoliert unnd durchhauen seind mit plueen un(d) mit laeubern und seind doch inwendige nichßnit anderst denn behalter der gebain darinn dye krotten nystent· Auch ein staine der heysset Concalitus der ist da mit genatürt das er mit ma(n)gerley farbe außwendigklichen gepluemet ist· und pringet den augen schoenen reychen lußt den er [55ra] sich erzaiget· unnd hecket doch die augen die in mit lust ansehe(n)· verporgenlich so gar geschwinde das sich ir geaeder daruon zerrütet un(d) macht sy so wandelwertige das man geschwuer zitteren waer in geaignot· Auch wayste man wol daz der vinster Saphir des adels der teurest ist· un(d) der aller klarest ist nach de(m) werde der ringest· Omta ist zweyerley und wirt der schwarcz dem weissen fürgeseczt· Unnd so der stei(n) Buis ye plaicher ist so er auch ye edler ist· Darbei magst du wol erkenne(n) daz aller ding maisterin die natur in alle(n) iren wercken außwe(n)diger schein verdaempffet· Nun wes freuestu dich du hochgeruempte hoffart· das du dich außwendiklichen genczlich un(d) gar in hoher zier gebluemet pist und begerst auch wye du mit reicher pluede menschlich auge(n) speysest· und dich zierlich erzaigest in hohes ruomes geferte· Sag mir hastu nie gemercket wie das gold unnd was d(er) anderen geschmeid seind in heymlicheit der erden vast verporgen sei(n)d / darauß sy uns zuo nucz als von irer muoter die demuetige an ir selber ist entspriessen und außfliessen· Und wie der sueß und himelichs morgentaw sich v(er)wa(n)del in edel perlin in den verpor[55rb]gen schnecken schalen· Ein mensche wirt empfange(n) in muetterlicher innikeit· und werden doch der wesenlichen ding menschlicher natur außwendiklichen keines gesehen· von den wurcze(n) dye in der erde(n) verporgen seind zeuhet der paum kraft und saft zuo seinem ganczen würcken· Auch liget vester grund menschlichs lebens in dem herczen wol heimlich verporgen· Darbey moechttest du erkennen ob dich weißheit geziert und gepluempt hett dz alle natürliche ding die mitt den hoechsten eren geadlet unnd gewürdet seind mit grosser geheym verporgen seind· Wz sag ich dir mer ich freu mich fürwar in hohen freude(n) vil mer das ich der frucht und nicht der pluome(n) sichtige pin dann ob ich vyl der pluome(n) hette und wa(e)r doch aller fruchte laer· Darmit ward d(er) doren mit seinen pluomen gesche(n)det unnd verschlagen· Und also nam dye rede ein ende· Hyenach volget ei(n) and(er)e geleichnuß | |||
== Anmerkungen == | |||
<references /> | |||
[[Kategorie:Quelle Fabel]] | [[Kategorie:Quelle Fabel]] |
Version vom 27. Mai 2022, 14:27 Uhr
Dornbusch und Feigenbaum (Erzählstoff) | |
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Regest | Der Dornbusch rühmt sich vor dem Feigenbaum seiner frühen Blüte, der Feigenbaum aber weist auf seine Früchte hin, die besser seien als leere Blüten. (Dicke, Gerd/Grubmüller, Klaus: Die Fabeln des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, S. 81) |
Fassungen | Buch der natürlichen Weisheit (Ulrich von Pottenstein), Nr. II, 23 Buch von der Weisheit, Nr. II, 23 Spiegel der wyßheit (Sebastian Münster), Nr. II, 23, Bl. 44v-45r Spiegel der natürlichen weyßhait (Daniel Holzmann), Nr. 50, Bl. 179r-181v |
Forschung (s.a. unter Fassungen) |
Dicke, Gerd/Grubmüller, Klaus: Die Fabeln des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, S. 81; Günthart, Romy (Hg.): Sebastian Münster, Spiegel der wyßheit, Band 2, S. 80f. |
Lateinische Version (Cyrillus, Nr. I, 11), 1. Hälfte 14. Jhd.
Die deutsche Tradition baut auf einer lateinischen Quelle auf (Cyrillus, Nr. II, 23 (Grässe, Johann Georg Theodor (Hg.): Die beiden ältesten lateinischen Fabelbücher des Mittelalters. Tübingen 1880, S. 59f.)).
Cyrillus: Speculum Sapientiae[1] | Übersetzung[2] |
Contra apparentes et contrarium existentes Spina floruit et ficus ante eam frondes suos grossos produxit. Cui mox tumefacta ex floribus spina dixit: „Ficus, ubi sunt flores tui?“ At illa respondit: „Spina, ubi sunt fructus tui?“ Et spina: „Non dedit mihi natura fructus.“ – „Nec mihi addidit flores“, ficus ait. „Sed cum flos derivetur in fructum, melius est sine flore fructum producere, quam fructu privato florem. Attamen quia non floreo, germen suavissimum gigno, namque palma mel suum non effundens in floribus parit hinc mellifluum dactylum, et canna mellea, quia flores non detulit, sic totam fructus dulcedinem intra semet ipsam recondit. Quid ergo de apparentia contrariae existentiae gloriaris? Sepulcrum quidem extra flosculis pingitur, et intus est spurcitia mortis plenum. Exacontolicus lapis hic tantillus mira floret distinctione colorum et cum delectatione inspicitur, occultae laesionis aculeo pungens tremulum oculi facit nervum. Sed ex obscuritatis nube saphirus est optimus et qui est splendidior, venditus valet minus. Onycha gemma nigra albae praeponitur et bius lapis quanto plus pallidus, tanto magis pretiosus. Itaque rerum ipsa mirabilis fabricatrix natura etiam in suis operibus apparentiam damnat. Ut quid igitur visus cupida gaudes totaliter esse florida pompa? Attende, quod aurum in internis nascitur latibulis et margarita rores caelitus in occultis ostrearum conchis gemmascit. Homo in maternis visceribus oritur et rerum substantia non videtur. De occultatis sub terra vitalem succum trahit arbor radicibus et humanae vitae latet in praecordiis fundamentum, quoniam etiam pretiosissima quaeque summae naturae invisibilia sunt. Quid plura? Magis certe gaudeo esse fructifera sine flore quam spina cum flore.“ Quibus dictis pomposam confudit. |
Gegen die, die das Gegenteil von dem hervorkehren, was sie sind Ein Dornbusch stand in voller Blüte und ein Feigenbaum trieb vor ihm sein grünes Laub aus. Stolz auf seine Blüten sagte darauf der Dornbusch zu ihm: „Feigenbaum, wo sind deine Blüten?“ Aber jener antwortete: „Dornbusch, wo sind deine Früchte?“ Und der Dornbusch sagte: „Die Natur hat mir keine Früchte gegeben.“ – „Und mich hat sie nicht mit Blüten versehen“, sagte der Feigenbaum. „Aber wenn die Blüte zur Frucht führen soll, ist es besser, eine Frucht ohne Blüte hervorzutreiben, als eine Blüte, die ohne Frucht bleibt. Da ich aber nicht blühe, erzeuge ich eine süße Knospe. Übrigens bringt daher die Palme, die ihren Honig nicht in Blüten ergießt, honigfließende Datteln hervor, und das Zuckerrohr hat die volle Fruchtsüße in sich selbst, weil es keine Blüten trug. Warum also prahlst du mit deiner substanzlosen Erscheinung? Ein Grabmal wird nämlich außen mit Blumen bemalt und innen ist es voll vom Schmutz des Todes. Der so kleine Hexecontalithos erblüht in wunderbarer Farbenpracht, und wenn er mit Vergnügen betrachtet wird, trifft er mit dem Stachel, der eine verborgene Schädigung hervorrufen kann, den Augennerv und läßt ihn erzittern. Der Saphir mit einem undurchsichtigen Dunkel ist aber der Edelste, der glänzendere ist weniger wert, wenn er verkauft wird. Der schwarze Onyx-Edelstein wird dem weißen vorgezogen, und der Bius-Stein ist umso wertvoller, je blasser er ist. So hat die Natur, die wunderbare Schöpferin der Dinge, auch in ihren Werken den Schein verurteilt. Weshalb freust du dich also, begierig gesehen zu werden, daß du völlig in Blütenpracht stehst? Merke dir, daß das Gold im Inneren der Verstecke entsteht und die Perle, der Himmelstau, in Muschelschalen verborgen zum Juwel heranwächst. Der Mensch entsteht im Leib der Mutter und die Substanz der Dinge sieht man nicht. Aus verborgenen Wurzeln unter der Erde zieht der Baum den Lebenssaft und das Fundament des menschlichen Lebens verbirgt sich in der Brusthöhle, da gerade das Kostbarste der erhabenen Natur unsichtbar ist. Was weiter? Es macht mir gewiß mehr Freude, fruchtbringend ohne Blüte als ein Dornbusch mit Blüte zu sein.“ Mit diesen Worten stürzte er den Prahler in Verwirrung. |
Deutsche Versionen
Buch der natürlichen Weisheit (Ulrich von Pottenstein), Nr. II, 23 (nach Druck Augsburg 1490)
Dise geleichnusz istt wyder die die auswendig erscheynend on innwendiges wesen·
Das xxiii Capitel
AIn doren plueet ee dan(n) ein feigenpaume sein prossen hete erzaiget· Nu(n) übernaz sich der dorn seiner matten plue unnd sprach Feyge(n)baum wo seind dein plue [54vb] Er antwurt und sprach zuo im· Doren wo seind dein frücht· do sprach der doren· Die natur aller di(n)g maisterin hat mir nichtt frucht gegeben· Do sprach d(er) feygenbaum so hat sy mir nit plue gegeben· Seyd aber sich plue in frucht verwa(n)dlet so ist vil peßser frucht on plue bringen dann plue on nucz der frücht / yedoche wiewol ich nymmer blue pring so gepür ich doch gar sueß früchte zuo manigfeltige(n) nucz· Waistu nit das d(er) edel palm sein wolriechende sueß nit in dye pluomen geußt· Aber er geußet sy in dye wolgemachten tateln die seiner pluede frucht sei(n)d· Auch beschleuset der edel zucker ror alle sueße dauon in im das er der pluemen beraubet ist· Nun sage mir du eiteler doren wes ruemest du dich so türstigklichen deines außwe(n)digen glanczes / wayst du nicht wie maniges der toten greber außwendiklich gepoliert unnd durchhauen seind mit plueen un(d) mit laeubern und seind doch inwendige nichßnit anderst denn behalter der gebain darinn dye krotten nystent· Auch ein staine der heysset Concalitus der ist da mit genatürt das er mit ma(n)gerley farbe außwendigklichen gepluemet ist· und pringet den augen schoenen reychen lußt den er [55ra] sich erzaiget· unnd hecket doch die augen die in mit lust ansehe(n)· verporgenlich so gar geschwinde das sich ir geaeder daruon zerrütet un(d) macht sy so wandelwertige das man geschwuer zitteren waer in geaignot· Auch wayste man wol daz der vinster Saphir des adels der teurest ist· un(d) der aller klarest ist nach de(m) werde der ringest· Omta ist zweyerley und wirt der schwarcz dem weissen fürgeseczt· Unnd so der stei(n) Buis ye plaicher ist so er auch ye edler ist· Darbei magst du wol erkenne(n) daz aller ding maisterin die natur in alle(n) iren wercken außwe(n)diger schein verdaempffet· Nun wes freuestu dich du hochgeruempte hoffart· das du dich außwendiklichen genczlich un(d) gar in hoher zier gebluemet pist und begerst auch wye du mit reicher pluede menschlich auge(n) speysest· und dich zierlich erzaigest in hohes ruomes geferte· Sag mir hastu nie gemercket wie das gold unnd was d(er) anderen geschmeid seind in heymlicheit der erden vast verporgen sei(n)d / darauß sy uns zuo nucz als von irer muoter die demuetige an ir selber ist entspriessen und außfliessen· Und wie der sueß und himelichs morgentaw sich v(er)wa(n)del in edel perlin in den verpor[55rb]gen schnecken schalen· Ein mensche wirt empfange(n) in muetterlicher innikeit· und werden doch der wesenlichen ding menschlicher natur außwendiklichen keines gesehen· von den wurcze(n) dye in der erde(n) verporgen seind zeuhet der paum kraft und saft zuo seinem ganczen würcken· Auch liget vester grund menschlichs lebens in dem herczen wol heimlich verporgen· Darbey moechttest du erkennen ob dich weißheit geziert und gepluempt hett dz alle natürliche ding die mitt den hoechsten eren geadlet unnd gewürdet seind mit grosser geheym verporgen seind· Wz sag ich dir mer ich freu mich fürwar in hohen freude(n) vil mer das ich der frucht und nicht der pluome(n) sichtige pin dann ob ich vyl der pluome(n) hette und wa(e)r doch aller fruchte laer· Darmit ward d(er) doren mit seinen pluomen gesche(n)det unnd verschlagen· Und also nam dye rede ein ende· Hyenach volget ei(n) and(er)e geleichnuß
Anmerkungen
- ↑ Zitiert nach Esser, Birgit/Blanke, Hans-Jürgen (Hg.): Speculum Sapientiae, S. 128-130.
- ↑ Zitiert nach Esser, Birgit/Blanke, Hans-Jürgen (Hg.): Speculum Sapientiae, S. 129-131.