Der rote Mund (B1)

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Der rote Mund (B1)

AutorIn Anon.
Entstehungszeit Überlieferung ab 1430-35
Entstehungsort
AuftraggeberIn
Überlieferung Karlsruhe, Landesbibliothek: Hs. K 408, 126rb-128vb
München, Bayerische Staatsbibliothek: Cgm 714, 27r-63r
Ausgaben Dorobantu, Julia/Klingner, Jacob/Lieb, Ludger (Hg.): Minnereden, S. 27-41
Übersetzungen
Forschung Klingner, Jacob: Der rote Mund; Klingner, Jacob/Lieb, Ludger: Handbuch Minnereden, Band 1, S. 1-3

Inhalt

A Hyperbolischer Lobpreis und Dichtungsreflexion (1–153):

Der Sprecher preist eine Frau, an deren Schönheit keine andere heranreichen könne. Alle Frauen, die er je sah, seien dagegen wie ein Schlag in einen Bach. Lebte Wolfram (6: der von Eschenbach) noch, dessen Frauenlob niemand übertroffen habe und übertreffen werde, müsste Wolfram ihm beipflichten. Obwohl Wolfram alles, was er loben wollte – sei es wahr oder unwahr (14: Von worheit oder von nichten) – aufs Beste und unerreichbar gut loben konnte, müsste er doch, wenn er bei Verstand sei (charakteristischer Reim in 37f. : toben : loben), die Dame des Sprechers seinen eigenen exemplarischen Frauenfiguren vorziehen (genannt werden Elspeten [Elsa aus dem Wolfram zugeschriebenen ›Lohengrin‹?], Beaflurs, Orgeluse, Kondwiramurs, Repanse de Schoye – 25: die deß grales pflack –, Sigune, Jeschute und Kunneware). Da Wolfram aber tot sei und ihm nicht mehr helfen könne, müsse er selbst zu einem Lob ansetzen. Dass die Dame innen und außen, an Tugenden und Schönheit unübertroffen sei, werde jeder eingestehen. Da sie ihn ›veredle‹, lobe er sie trotz eigener Unfähigkeit. Er verweist auf eine Bibelstelle, nach der die Sonne in der zukünftigen Welt siebenmal heller scheine als jetzt (Jes 30,26), und fragt sich, was dann aus der Geliebten werde, die ja schon hier auf Erden heller scheine als die Sonne. Bei ihrer Erschaffung habe Gott nichts vergessen. Dennoch wolle der Sprecher nicht jedes ihrer Glieder einzeln loben (Verweis auf topische Schönheitsbeschreibung nach dem A capite ad calcem-Schema), weil dies die Rede verlängere, die sowieso nur konventionell sei (92: Diß ist ein red als hundert). Die Schönheit der Geliebten dagegen überstrahle alles. Viele Menschen pilgerten nach Rom, um dort eine Reliquie zu berühren, doch er mache sich nichts aus ›toten Knochen‹ (102). Seine Not werde allein durch Berührung mit dem ihm heiligen Gesicht der Dame gelindert, das – anders als die tote Reliquie – sprechen, hören, sehen und lachen könne. Ausführlich kritisiert der Sprecher konventionelle Lobtopik: Ein Vergleich der Dame mit Lilien und Rosen sei zu grob, überhaupt sei ein Bezug auf die Rose einfältig und einfallslos (119–121: Wann rosen ist der kind lop, | Oder der nit wegerß vinden kan, | Man seczt ein rosen dort hin dan). Stellte man sich vor, das Rot aller Rosen der Welt zur Zeit ihrer schönsten Blüte auf eine (imaginäre) ›Überrose‹ zu konzentrieren (deren Blüte, Stempel und Blätter dann vollkommen rot wären), und vergliche diese sodann mit dem Mund der Geliebten, so würde der Mund dennoch hervorstechen, die Rose dagegen fahl aussehen. Der Sprecher bekräftigt, nie etwas Röteres als ihren Mund gesehen zu haben.

B Wundererzählungen (154–244):

Der Sprecher kündigt den Bericht von einem großen Wunder an: Wer mit der Dame in der Kirche stehe und wen sie in ihr Gebet einschließe, auf dessen Mund übertrage sich die Röte ihres Mundes. Er bekräftigt, das selbst gesehen zu haben, überhaupt gehe er ständig in die Kirche, nur um sie sehen zu können. Dann erzählt er von einem weiteren, noch größeren Wunder: Er habe sie beobachtet, wie sie, vor dem Altar kniend und in der Hand den Psalter, ihr Stundengebet gesprochen habe. Dabei hätten sich erst die schwarze Tinte der Noten, dann das weiße Pergament, schließlich die Wand und Fenster des Kirchenraums rot verfärbt (letztere hätten die Farbe behalten), sodass er sich gewundert habe, wie sie – Rot auf Rot – lesen könne. Bei der Lesung des Verses Ps 50,17 (204: das lateinische Zitat: Domine labia mea aperies wird hier umgedeutet) sei das Buch noch röter erglüht, was ihn als zunächst ratlosen Beobachter zur Gewissheit geführt habe, dass der rote Glanz von ihrem Munde verursacht werde. Auch nach Beendigung des Gebetes habe der Psalter weiter rot ›gebrannt‹ und ein um ihn geschlagenes weißes Seidentuch verbrannt (237–239: Vergleich mit zindal aus Tripolis und Ninive). Alles, was sich der Dame zuwende, empfange Ehre und Würde – das könne ihr Mund, so könne sie lesen. Der Sprecher bekräftigt, dass er lange schon ihr Diener sei.

C Liebesklage (246–325):

Trotz unerfüllter Liebe will der Sprecher am Lob der Geliebten festhalten. Er beklagt aber die Missachtung durch die Dame (er wünscht sich, sie wäre ihm wenigstens so gewogen wie Dietrich dem Fasold): Sie grüße ihn nicht, selbst wenn er sich ihr in den Weg stelle; stehe er in der Menge, verwehre sie allen den Gruß. Trostlos bittet er in direkter Anrede (278–284) alle Männer und Frauen, seiner Werbung Glück zu wünschen. Wer den Schmerz unerfüllter Liebe aus eigener Erfahrung kenne, der wisse um die Berechtigung solcher Liebesklagen. Anders als normale Wunden seien Minnewunden nicht durch den Arzt, sondern nur durch ihre Ursache, d.h. die Frau zu heilen – so sei es auch in seinem Fall. Er bekräftigt die Unbedingtheit und Wahrhaftigkeit seiner Liebe (321: Es ist wor, summer got!) und verweist noch einmal darauf, dass nur der wisse, was die Liebe anrichte, der selbst liebe.

D Schluss (326–350):

Der Sprecher will schließen (326: Jch wil die red trummen abe), da er fürchtet, sein Publikum (direkte Anrede) zu langweilen. Einer Offenbarung gegenüber der Dame sieht er ambivalent entgegen, will aber kein offenes Rechten über den Minnekasus, sondern hofft, dass sich die Liebe zu ihrer Zeit ergebe. Nach einer weiteren Schlussformel (338: Hie mit wil ich gedagen) bekennt er, ein schlechter Redner zu sein, weshalb nun einer sprechen solle, der geeigneter und unterhaltsamer sei als er. Er schließt mit einer direkten Apostrophe an das Publikum, in der er zur Anschlusskommunikation auffordert: Wer nü wol der heb an (351). In einer dritten Schlussformel (352: Wann ich des myn erwinde) nennt er den Titel des Textes (354: Daß ist geheyßn der rot münd) und empfiehlt ihn zur Lektüre.

E Zusatz (359–361):

Der Schreiber bittet um Gottes Beistand. Ihm sei Liebeserfüllung versagt gewesen (361: Der ist an dem roten münd blyben).

(Klingner, Jacob/Lieb, Ludger: Handbuch Minnereden, S. 2f.)