Bär, Fuchs und Hirschkuh (Erzählstoff): Unterschied zwischen den Versionen

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| fassungen          = [[Buch der natürlichen Weisheit (Ulrich von Pottenstein)]], Nr. II, 11<br />[[Spiegel der wyßheit (Sebastian Münster)]], Nr. II, 11<br />[[Spiegel der natürlichen weyßhait (Daniel Holzmann)]], Nr. 38<!--Möglichst alle Fassungen des Erzählstoffs. Bei Einzelwerken in [[Kurzzitationen]], bei Fassungen im Rahmen größerer Werke in [[Kurzzitationen]], Nr. XX, bei anonymen Handschriften und Drucken nach dem Muster: Ort, Bibliothek: Signatur, abgetrennt mit "<br />"-->
| fassungen          = [[Buch der natürlichen Weisheit (Ulrich von Pottenstein)]], Nr. II, 11<br />[[Spiegel der wyßheit (Sebastian Münster)]], Nr. II, 11<br />[[Spiegel der natürlichen weyßhait (Daniel Holzmann)]], Nr. 38<!--Möglichst alle Fassungen des Erzählstoffs. Bei Einzelwerken in [[Kurzzitationen]], bei Fassungen im Rahmen größerer Werke in [[Kurzzitationen]], Nr. XX, bei anonymen Handschriften und Drucken nach dem Muster: Ort, Bibliothek: Signatur, abgetrennt mit "<br />"-->
| forschung          = [[Dicke, Gerd/Grubmüller, Klaus: Die Fabeln des Mittelalters und der Frühen Neuzeit]], S. 51<!--Forschungstexte zum Erzählstoff (s. Bibliographie Forschung Kleinepik), ggf. mit Seitenangaben, abgetrennt mit ";"-->
| forschung          = [[Dicke, Gerd/Grubmüller, Klaus: Die Fabeln des Mittelalters und der Frühen Neuzeit]], S. 51<!--Forschungstexte zum Erzählstoff (s. Bibliographie Forschung Kleinepik), ggf. mit Seitenangaben, abgetrennt mit ";"-->
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== Lateinische Version (Cyrillus, Nr. I, 11), 1. Hälfte 14. Jhd. ==
== Lateinische Version (Cyrillus, Nr. I, 11), 1. Hälfte 14. Jhd. ==



Version vom 19. September 2021, 21:19 Uhr

Bär, Fuchs und Hirschkuh

(Erzählstoff)

Regest Um dem hungrigen Bären Beute zu verschaffen, redet der Fuchs der Hirschkuh den Wunsch nach Hörnern ein, die der Bär anbringen könne; der Hirsch bringt die Hirschkuh von ihrem Wunsch ab. (Dicke, Gerd/Grubmüller, Klaus: Die Fabeln des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, S. 51)
Fassungen Buch der natürlichen Weisheit (Ulrich von Pottenstein), Nr. II, 11
Spiegel der wyßheit (Sebastian Münster), Nr. II, 11
Spiegel der natürlichen weyßhait (Daniel Holzmann), Nr. 38
Forschung
(s.a. unter Fassungen)
Dicke, Gerd/Grubmüller, Klaus: Die Fabeln des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, S. 51


Lateinische Version (Cyrillus, Nr. I, 11), 1. Hälfte 14. Jhd.

Die deutsche Tradition baut auf einer lateinischen Quelle auf (Cyrillus, Nr. II, 11 (Grässe, Johann Georg Theodor (Hg.): Die beiden ältesten lateinischen Fabelbücher des Mittelalters. Tübingen 1880, S. 46-48)).

Cyrillus: Speculum Sapientiae[1] Übersetzung[2]

Contra appetitum dignitatis.

Latitanti urso famelico, ut praedam aliquam deglutiret, magistra fallaciae vulpes, pia impio subvenire cum putat, ad eum cervam solivagam arte doli sic conabatur afferre. "Nimirum", inquit, "vultu placidam, cervice altam, pelle politam, pede validam, proportione decoram parens te formavit natura, unum tantum perfectae venustati minus est, quia cornibus cares! Neque enim certe infirmo sexui tam superba et tuta debuit armatura deesse, maxime cum eam concesserit simul vaccae. Aut forte livoris nescia quaedam reliquit arti natura. Simia quidem suppletiva arte induitur et magisterio aurum et argentum politur. Si vis ergo perfici cornu, audi monitum et imitare ductum, quoniam ad magistrum te dirigam iam expertum." At illa non tam mobilitate feminea quam volens cornu sequebatur mendacem, sed pia sorte dolo captae fuit obvius cervus, qui miratus de socia dixit: "Quo vulpinam sequeris caudam?" Cui cerva: "Quippe tanto duce ad ursum tendo, ut sicut et tu cornibus gaudeam: An solus apparere vis superbia masculina?" Ad hoc ille astutus utriusque sentiens fastum et dolum, amicae compassus totum suum fundit nisum exhortatu dixitque: "Nempe propter cornua ursus dedit quiete virtutis auriculam. Cave, ne tu deterius amittas pellem et vitam! Ursus namque interrogatus a lupo, ut quid faciem pronam ferret, respondit: "Quia habeo debile caput." Cui lupus ait: "Muni ipsum cornibus, his ergo caput armavit natura bovinum. Vade ad hominem arte dotatum et ponet." Quo invento magister ait: "Solve pro labore, volo hoc, quod dare non noceat; si brancham peterem, non dares. Da mihi aures et nil tibi nocet!" Quo volente scidit eas et ferens malleum, ut perforaret cranium eius, audivit: "Fatuusne sum, ut perfores mihi caput?" Qui ait: "Aliter tibi cornua non ponuntur." Tunc ursus abbreviatis auribus inquit: "Bene enim fatuus qui cornua cupit. Perdit enim, ut video, caput discretionis et aures quiete virtutis." Et sic abscissis auribus sine cornibus abiit illusus. An ignores, quod, dum amittit cornua luna, fit lumine vacua et cornuta Moysi facies contuitus liberi dulcedine et velamento est privata? Illaqueatur quidem vacca per cornua aratro et bos servus sub duro iugo assidue duci solet per cornua. Non attendis, quod nulli caelestium praeter trapotam cornu pondus apponitur? Sed eo dumtaxat nos terreni gravamur. Quamobrem et ego serpentis haustu comburor interius, ut possim vetustatis pondus deponere cornu. Quid plura? Bestialitas quidem communis ostenditur aut cornu aut cauda. Depone igitur fastum et fuge cornu, ne dira te laniet ungula ursus. Quibus intellectis mox dimissa vulpe secuta est cervum.

Gegen das Verlangen nach würdevoller Pracht.

Ein Fuchs, ein Meister im Täuschen, versuchte einem hungrigen Bären, der sich versteckt hielt, um eine Beute zu verschlingen, eine allein umherstreifende Hirschkuh mit listigem Trick folgendermaßen zuzuführen, wobei er pflichtbewußt dem Bösen zu helfen glaubte. "Zweifellos", sagte er zu ihr, "hat dich Mutter Natur mit friedlicher Miene, hohem Nacken, glänzendem Fell, kräftigem Fuß und schönem Ebenmaß geschaffen, nur eines fehlt der vollkommenen Schönheit, daß du kein Gehörn hast. Gewiß dürfte dem schwachen Geschlecht eine so prächtige und der Sicherheit dienende Ausrüstung nicht fehlen, zumal sie sogar der Kuh zugestanden wurde. Oder aber die Natur hat neidlos der Geschicklichkeit Spielraum gegeben. Der Affe ist allerdings mit einer zusätzlichen Geschicklichkeit ausgestattet, Gold und Silber werden durch Meisterschaft geglättet. Wenn du also durch ein Gehörn vollkommen werden willst, höre auf meine Ermahnung und folge meiner Führung, da ich dich zu einem schon erprobten Meister lenken will!" Jene aber folgte dem Lügner nicht so sehr aus weiblichem Leichtsinn, sondern weil sie das Gehörn haben wollte. Doch durch ein gütiges Schicksal kam ihr, die durch die List geblendet war, ein Hirsch entgegen, der über seine Gefährtin verwundert sagte: "Wohin folgst du diesem Fuchsschwanz?" Die Hirschkuh antwortete ihm: "Ich bin mit diesem Führer unterwegs zum Bären, damit ich mich wie auch du eines Gehörns erfreuen kann. Oder willst allein du dich mit männlichem Stolz zeigen?" Aus Mitleid mit seiner Freundin verwandte darauf der schlaue Hirsch, der den Hochmut und die List beider erkannte, seine ganze Kraft darauf, sie eindringlich zu ermahnen, und sagte: "Der Bär hat doch wegen Hörnern das kleine Ohr kampflos hergegeben. Gib acht, daß du nicht, was noch schlimmer wäre, Fell und Leben verlierst! Als der Bär nämlich vom Wolf gefragt wurde, warum er sein Gesicht so gesenkt halte, antwortete er: "Weil ich einen schwachen Kopf habe." Der Wolf sagte zu ihm: "Statte ihn mit Hörnern aus, mit diesen hat doch die Natur den Kopf der Rinder versehen. Geh zum Menschen, der diese Kunst beherrscht, und er wird sie dir aufsetzen." Sowie er ihn gefunden hatte, sagte der Meister: "Zahle für die Arbeit! Ich will das, was dir nicht schaden kann, wenn du es hergibst. Wenn ich eine Pfote verlangen würde, würdest du sie mir nicht geben. Gib mir die Ohren, das schadet dir nicht!" Mit dessen Einwilligung schnitt er sie ab und, als er einen Hammer brachte, um seinen Schädel zu durchbohren, hörte er ihn sagen: "Bin ich denn ein Dummkopf, daß du mir den Kopf durchbohren willst?" Er sagte: "Anders können dir die Hörner nicht verpaßt werden." Da sagte der Bär, dem die Ohren abgeschnitten worden waren: "Wer Hörner haben will, ist wirklich ein Dummkopf. Er verliert nämlich, wie ich jetzt sehe, das Hauptmerkmal der Unterscheidung und kampflos die Ohren." Und so ging er ohne Ohren und ohne Hörner mit Spott beladen davon. - Weißt du etwa nicht, daß, wenn der Mond seine Hörner verliert, er ohne Licht ist und daß das mit Hörnern versehene Gesicht des Moses der Faszination des freien Anblicks gerade durch die Verhüllung beraubt war? Die Kuh ist allerdings der Hörner wegen an den Pflug gefesselt und der Ochse wird gewöhnlich wie ein Sklave wegen der Hörner unablässig unter dem harten Joch geführt. Bemerkst du nicht, daß keinem Himmlischen außer der Trapota die Last eines Horns auferlegt ist? Nir wir Erdenbewohner sind damit beschwert. Deshalb brenne auch ich innerlich durch den Trank der Schlange, damit ich das Horn als alte Last abwerfen kann. Was noch: Das wilde tierische Wesen zeigt sich allgemein entweder durch das Horn oder den Schwanz. Lege deshalb deinen Hochmut ab und fliehe das Horn, damit dich nicht der Bär mit seiner schrecklichen Kralle zerreißt!" Als die Hirschkuh dis eingesehen hatte, schickte sie sofort den Fuchs weg und folgte dem Hirsch.

Deutsche Versionen

Buch der natürlichen Weisheit (Ulrich von Pottenstein), Nr. II, 11 (um 1408/16, nach Druck Augsburg, 1490)

Anmerkungen