Scholz, Manfred Günter: Wer den Stricker totschlägt oder Die Lüge von den Edelsteinen

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Zitation

Scholz, Manfred Günter: Wer den Stricker totschlägt oder Die Lüge von den Edelsteinen. In: Vollmann-Profe u.a. (Hg.): Impulse und Resonanzen. Tübinger mediävistische Beiträge zum 80. Geburtstag von Walter Haug. Tübingen 2007, S. 229-244

Beschreibung

Würdigung des Strickers als mittelalterlichen Aufklärers anhand von Der wunderbare Stein (der Stricker) und Von Edelsteinen (Der Stricker).

Inhalt

  • Aus Walthers metonymischer Verwendung des Weisen für die Reichskrone ist abzuleiten, dass sein höfisches Publikum Detailwissen in mittelalterlicher Edelsteinkunde besaß. Dieses Wissen ist im Mittelalter weit verbreitet. (229f.)
  • Beispiele für Edelsteinwirkungen: Der Smaragd hilft der Augenkraft (231), der Topas kühlt heißes Wasser (231), der Hahnenstein hilft gegen Durst und verhilft zum Sieg (231), der Saphir hilft gegen Geschwüre und Blasen (232).
  • Die Kirche stand dem Glauben an die Wirksamkeit der Edelsteine neutral bis vorsichtig unterstützend gegenüber, kombinierte ihre Anwendung aber mit Segen und Gebet. (232f.)
    • Der wunderbare Stein (Der Stricker)
      • Der Edelstein steht nicht für eine bestimmte hervorragende Eigenschaft des Menschen (der Stricker nennt beim Kronstein bezeichnenderweise nur die äußerliche Qualität der Farbe), „sondern es kommt an auf die objektive Manifestation der subjektiven Einstellung des Trägers gegenüber der angeblichen Eigenschaft des Steins“ (235).
      • Der Glaube an die magische Wirksamkeit des Steins wird wie bei Lessings Ringparabel zu dem Zweck eingesetzt, ein humaneres Dasein zu erreichen. (235)
    • Von Edelsteinen (Der Stricker)
      • Der Vergleich der Edelsteine mit buntem Glas liegt – mit umgekehrten Vorzeichen – bereits bei Marbod von Rennes vor, der die Imitation der Edelsteine als betrügerisch brandmarkt und zu einer empirischen Überprüfung der Kräfte rät. (236f.)
      • Die Exempel, die der Stricker anführt, um die Ohnmacht von Edelsteinen zu zeigen, entstammen v.a. der politischen Zeitgeschichte: (237)
        • Die Edelsteine von Byzanz: Trotz der angeblichen Kraft von Edelsteinen, Reichtum zu bewahren, haben die Herren von Byzanz alles verloren – was mit dem Geschehen kurz nach 1200 um Isaak Angelos und Alexios IV. korrespondiert. (237)
        • Die Edelsteine der Reichskrone: Trotz der segensspendenden Edelsteine wurde König Philipp ermordet und Kaiser Otto ehrlos. (237f.)
        • Vergleich mit dem valschen wîp: Beide kommen teuer zu stehen. (238)
        • Der Chalcedon: Im Gedicht Die Beschreibung des himmlischen Jerusalem wird vom Chalcedon berichtet, dass er einen Grashalm von der Erde hochheben könne, was der Stricker als unnütz darstellt. (238)
        • Die Kräfte von Siegsteinen und Hahnensteinen leugnet der Stricker mit Hinweis auf die erfolglosen bzw. getöteten Träger; der in der Nacht leuchtende Rubin erfüllt dieselbe Funktion wie ein Stück faules Holz. (238f.)
        • Der Smaragd: Die Angebliche Kraft des Smaragdes bei Augenleiden ist wahr – wer damit über die Augen streicht, wird blind, wie das Beispiel Herzog Heinrichs (Enrico Dandolo, Doge in Venedig) zeigt. (239)
  • Die Kritik des Strickers ist einzigartig scharf, doch hat sein „Appell an den gesunden Menschenverstand, an ein vernünftiges Durchdenken der Zusammenhänge – so außerordentlich modern er aus unserer Sicht anmuten mag – [...] auch keinerlei Chance, sich durchzusetzen und etwas zu verändern.“ (240)
  • Mitte des 13. Jhd.s schreibt Volmar einen Lapidarius und nimmt dabei explizit Bezug auf Von Edelsteinen (Der Stricker), wobei er „geifernde Empörung“ statt rationalem Argumentieren an den Tag legt. (240f.)
    • Dabei ruft Volmar dazu auf, den Leugner der Steinkräfte totzuschlagen. (241)
    • Volmar führt danach alle beim Stricker abgelehnten Steinkräfte auf und führt sie auf Gottes Macht zurück. (242)
  • Dem Stricker ging es „um den Kampf für den Ausgang des Menschen aus einer selbstverschuldeten Unmündigkeit [...], er steht für den Versuch, etwas Licht an die Orte zu tragen, wo das Mittelalter eben doch finster war.“ (243)