Wissbegieriger Fuchs und Rabe (Erzählstoff): Unterschied zwischen den Versionen

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| namen              = Wissbegieriger Fuchs und Rabe
| namen              = Wissbegieriger Fuchs und Rabe
| regest            = Der wißbegierige Fuchs belehrt den ihn verspottenden Raben, daß nur der weise sei, der seine Kenntnisse beständig vermehre. ([[Dicke, Gerd/Grubmüller, Klaus: Die Fabeln des Mittelalters und der Frühen Neuzeit]], S. 244)
| regest            = Der wißbegierige Fuchs belehrt den ihn verspottenden Raben, daß nur der weise sei, der seine Kenntnisse beständig vermehre. ([[Dicke, Gerd/Grubmüller, Klaus: Die Fabeln des Mittelalters und der Frühen Neuzeit]], S. 244)
| fassungen          = [[Buch der natürlichen Weisheit (Ulrich von Pottenstein)]], Nr. I, 1<br />[[Spiegel der wyßheit (Sebastian Münster)]], Nr. I, 1, Bl. 1r-v<br />[[Sprichwörter (Sebastian Franck)]], Erster Teil, Bl. 92r<br />Hans Sachs, Nr. 4750 (in [[Goetze, Edmund/Drescher, Carl (Hg.): Sämtliche Fabeln und Schwänke von Hans Sachs]], Band VI, Nr. 967, S. 194f.<br />[[Spiegel der natürlichen weyßhait (Daniel Holzmann)]], Nr. 1, Bl. 1r-5r
| fassungen          = [[Buch der natürlichen Weisheit (Ulrich von Pottenstein)]], Nr. I, 1<br />[[Buch von der Weisheit]], Nr. I, 1<br />[[Spiegel der wyßheit (Sebastian Münster)]], Nr. I, 1, Bl. 1r-v<br />[[Sprichwörter (Sebastian Franck)]], Erster Teil, Bl. 92r<br />Hans Sachs, Nr. 4750 (in [[Goetze, Edmund/Drescher, Carl (Hg.): Sämtliche Fabeln und Schwänke von Hans Sachs]], Band VI, Nr. 967, S. 194f.<br />[[Spiegel der natürlichen weyßhait (Daniel Holzmann)]], Nr. 1, Bl. 1r-5r
| forschung          = [[Dicke, Gerd/Grubmüller, Klaus: Die Fabeln des Mittelalters und der Frühen Neuzeit]], S. 244f.; [[Günthart, Romy (Hg.): Sebastian Münster, Spiegel der wyßheit]], Band 2, S. 13f.
| forschung          = [[Bodemann, Ulrike: Die Cyrillusfabeln und ihre deutsche Übersetzung durch Ulrich von Pottenstein]], S. 22, 244; [[Dicke, Gerd/Grubmüller, Klaus: Die Fabeln des Mittelalters und der Frühen Neuzeit]], S. 244f.; [[Günthart, Romy (Hg.): Sebastian Münster, Spiegel der wyßheit]], Band 2, S. 13f.


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=== Lateinische Version (Cyrillus, Nr. I, 1), 1. Hälfte 14. Jhd. ===
Die deutsche Tradition baut auf einer lateinischen Quelle auf (Cyrillus, Nr. I, 1 ([https://archive.org/details/diebeidenltesten00grss Grässe, Johann Georg Theodor (Hg.): Die beiden ältesten lateinischen Fabelbücher des Mittelalters.] Tübingen 1880, S. 5f.)).
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|style="border-width: 1px 1px 5px 1px"|Cyrillus: Speculum Sapientiae<ref>Zitiert nach [[Esser, Birgit/Blanke, Hans-Jürgen (Hg.): Speculum Sapientiae]], S. 22.</ref>
|style="border-width: 1px 1px 5px 1px"|Übersetzung<ref>Zitiert nach [[Esser, Birgit/Blanke, Hans-Jürgen (Hg.): Speculum Sapientiae]], S. 23.</ref>
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De vulpe et corvo
Semper disce et in extremis horis sapientiae semper stude
Vulpes decrepita ardens cupiditate plus sciendi quaerendo magistrum membris gravioribus sui corporis itineris addidit grave pondus. Mox ergo tendenti senectutis iufirmitate quidem gravi, sed aviditate sciendi peragili cum corvus astutior occurrisset, peracto mutuae salutationis officio satis laeta subiunxit: „Vere voluntas dei erat, ut mihi occurreret, quem volebam. Te namque qui caeli per cardines ambulas et multa consideras, ut me disciplinae sitibundam instrueres, perquirebam.“ Cui ille respondit: „Sanctae calliditatis antiquata magistra, quid amplius quaeris scire? Hoc certe tantum tibi restat peccatum finem habere." Ad haec discipula facta doctrix ita dicitur respondisse: «Numquid, frater mi, scriptum est a Salomone: Audiens sapiens sapientiam sapientior erit, nisi quod sapientiae non est numerus. Unde semper oportet addiscere et in extremis horis fundum sapientiae desiderabilius indagare. Finis enim pmdentis sapientia est et ob hoc quanto huic fini viciniores sumus, tanto maiori impetu ad amplectendum eum avidiores, cum natura curramus. Virtutis enim motus quasi naturalis fortior est. Sed cum visus senio ingrossatur, aspectus ex parte rationis acuitur. Dignum quippe est, ut quanto plus viget mentis iudicium, disciplinae plus operam impendamus. Namque dum hic vivimus, numquam in eodem statu manemus. Quare si non proficimus, mox deficimus. Sic enim esse prospicimus in mutabilibus rebus, quoniam sol, cum ultra non procedit, revertitur et statim dies dimmuitur, cum nox crescit. Similiter cum non magis protenditur, mox inclinatur in senium cursus aetatis. Igitur donec in semita fueris, semper disce, nec umquam putaveris satis esse, quia si steteris, retrocedis. Nihil nimirum organorum nostrorum retrorsum natura sed ante tantum composuit, ut in virtutis acribus non retrocedentes imo semper procedentes crescamus. Plures enim sensuum nostrorum ante situati sunt et ibidem stant manus et pedes.“ Quo dicto discessit.
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Fuchs und Rabe
Lerne immer, auch in den letzten Stunden strebe stets nach Weisheit
Ein altersschwacher Fuchs, der glühend vor Begierde mehr zu wissen auf der Suche nach einem Lehrer war, lud den schwerfälligen Gliedern seines Körpers die beschwerliche Last einer Reise auf. Als folglich ein gewitzter Rabe bald darauf dem trotz seiner großen Altersschwäche sich abmühenden, aber wegen der Wissbegierde sehr geschäftigen Fuchs begegnete, fügte dieser nach der gegenseitig gebotenen Begrüßung froh an: „Es war wirklich Gottes Fügung, dass mir der begegnete, den ich mir wünschte. Denn ich suchte dich, da du die Himmelspole bereist und vieles siehst, damit du mich Wissensdurstigen belehrst. Jener antwortete ihm: „Altehrwürdiger Lehrer von unbestrittener Lebensklugheit, warum willst du noch mehr wissen? Gewiss bleibt dir nur noch, mit der Sünde zu brechen. Darauf soll der Lehrer, der sich zum Schüler gemacht hatte, geantwortet haben: „Mein Bruder, von Salomon ist doch geschrieben «Der Weise, der auf die Weisheit hört, wird weiser sein, weil es kein Ende der Weisheit gibt. Deshalb muss man immer weiter lernen und auch in den letzten Stunden begierig nach den Grenzen der Weisheit forschen. Das Ziel des Klugen ist die Weisheit, und deswegen wollen wir, je näher wir diesem Ziele sind, mit umso größerer Leidenschaft zusammen mit der Natur eilen, begierig dies zu erreichen. Die Tugendregung ist gleichsam von der Natur gegeben und deshalb sehr stark. Wenn auch das Sehvermögen im Alter schlecht wird, so wird doch der Blick durch den Verstand geschärft. Es ist deshalb angemessen, dass wir auf die Wissenschaft umso mehr Mühe verwenden, je stärker das Urteilsvermögen des Verstandes ist. Denn solange wir hier leben, bleiben wir niemals in derselben Verfassung. Wenn wir keine Fortschritte machen, lassen wir deshalb bald nach. Dass es sich so verhält, erkennen wir an den wandelbaren Dingen, da ja die Sonne zurückkehrt, wenn sie nicht fortschreitet, und der Tag sofort abnimmt, wenn die Nacht
zunimmt. Ebenso neigt sich der Lebenslauf bald zum Alter, wenn er nicht mehr fortgesetzt wird. Solange du auf dem Weg bist, lerne also immer und glaube niemals, dass es genug ist. Denn du gehst rückwärts, wenn du stehen bleibst! Kein Wunder, dass die Natur keines unserer Glieder rückseitig, sondern nur vorne angebracht hat, damit wir beim tugendhaften Handeln nicht rückwärts, sondern immer vorwärts gehend uns weiter entwickeln. Die meisten unserer Sinnesorgane sind vorne platziert, und dort befinden sich auch unsere Hände und Füße.“ Nach diesen Worten entfernte sich der Fuchs.
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[[Kategorie:Quelle Fabel]]
[[Kategorie:Quelle Fabel]]

Aktuelle Version vom 18. August 2024, 19:19 Uhr

Wissbegieriger Fuchs und Rabe

(Erzählstoff)

Regest Der wißbegierige Fuchs belehrt den ihn verspottenden Raben, daß nur der weise sei, der seine Kenntnisse beständig vermehre. (Dicke, Gerd/Grubmüller, Klaus: Die Fabeln des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, S. 244)
Fassungen Buch der natürlichen Weisheit (Ulrich von Pottenstein), Nr. I, 1
Buch von der Weisheit, Nr. I, 1
Spiegel der wyßheit (Sebastian Münster), Nr. I, 1, Bl. 1r-v
Sprichwörter (Sebastian Franck), Erster Teil, Bl. 92r
Hans Sachs, Nr. 4750 (in Goetze, Edmund/Drescher, Carl (Hg.): Sämtliche Fabeln und Schwänke von Hans Sachs, Band VI, Nr. 967, S. 194f.
Spiegel der natürlichen weyßhait (Daniel Holzmann), Nr. 1, Bl. 1r-5r
Forschung
(s.a. unter Fassungen)
Bodemann, Ulrike: Die Cyrillusfabeln und ihre deutsche Übersetzung durch Ulrich von Pottenstein, S. 22, 244; Dicke, Gerd/Grubmüller, Klaus: Die Fabeln des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, S. 244f.; Günthart, Romy (Hg.): Sebastian Münster, Spiegel der wyßheit, Band 2, S. 13f.



Lateinische Version (Cyrillus, Nr. I, 1), 1. Hälfte 14. Jhd.

Die deutsche Tradition baut auf einer lateinischen Quelle auf (Cyrillus, Nr. I, 1 (Grässe, Johann Georg Theodor (Hg.): Die beiden ältesten lateinischen Fabelbücher des Mittelalters. Tübingen 1880, S. 5f.)).

Cyrillus: Speculum Sapientiae[1] Übersetzung[2]

De vulpe et corvo

Semper disce et in extremis horis sapientiae semper stude

Vulpes decrepita ardens cupiditate plus sciendi quaerendo magistrum membris gravioribus sui corporis itineris addidit grave pondus. Mox ergo tendenti senectutis iufirmitate quidem gravi, sed aviditate sciendi peragili cum corvus astutior occurrisset, peracto mutuae salutationis officio satis laeta subiunxit: „Vere voluntas dei erat, ut mihi occurreret, quem volebam. Te namque qui caeli per cardines ambulas et multa consideras, ut me disciplinae sitibundam instrueres, perquirebam.“ Cui ille respondit: „Sanctae calliditatis antiquata magistra, quid amplius quaeris scire? Hoc certe tantum tibi restat peccatum finem habere." Ad haec discipula facta doctrix ita dicitur respondisse: «Numquid, frater mi, scriptum est a Salomone: Audiens sapiens sapientiam sapientior erit, nisi quod sapientiae non est numerus. Unde semper oportet addiscere et in extremis horis fundum sapientiae desiderabilius indagare. Finis enim pmdentis sapientia est et ob hoc quanto huic fini viciniores sumus, tanto maiori impetu ad amplectendum eum avidiores, cum natura curramus. Virtutis enim motus quasi naturalis fortior est. Sed cum visus senio ingrossatur, aspectus ex parte rationis acuitur. Dignum quippe est, ut quanto plus viget mentis iudicium, disciplinae plus operam impendamus. Namque dum hic vivimus, numquam in eodem statu manemus. Quare si non proficimus, mox deficimus. Sic enim esse prospicimus in mutabilibus rebus, quoniam sol, cum ultra non procedit, revertitur et statim dies dimmuitur, cum nox crescit. Similiter cum non magis protenditur, mox inclinatur in senium cursus aetatis. Igitur donec in semita fueris, semper disce, nec umquam putaveris satis esse, quia si steteris, retrocedis. Nihil nimirum organorum nostrorum retrorsum natura sed ante tantum composuit, ut in virtutis acribus non retrocedentes imo semper procedentes crescamus. Plures enim sensuum nostrorum ante situati sunt et ibidem stant manus et pedes.“ Quo dicto discessit.

Fuchs und Rabe

Lerne immer, auch in den letzten Stunden strebe stets nach Weisheit

Ein altersschwacher Fuchs, der glühend vor Begierde mehr zu wissen auf der Suche nach einem Lehrer war, lud den schwerfälligen Gliedern seines Körpers die beschwerliche Last einer Reise auf. Als folglich ein gewitzter Rabe bald darauf dem trotz seiner großen Altersschwäche sich abmühenden, aber wegen der Wissbegierde sehr geschäftigen Fuchs begegnete, fügte dieser nach der gegenseitig gebotenen Begrüßung froh an: „Es war wirklich Gottes Fügung, dass mir der begegnete, den ich mir wünschte. Denn ich suchte dich, da du die Himmelspole bereist und vieles siehst, damit du mich Wissensdurstigen belehrst. Jener antwortete ihm: „Altehrwürdiger Lehrer von unbestrittener Lebensklugheit, warum willst du noch mehr wissen? Gewiss bleibt dir nur noch, mit der Sünde zu brechen. Darauf soll der Lehrer, der sich zum Schüler gemacht hatte, geantwortet haben: „Mein Bruder, von Salomon ist doch geschrieben «Der Weise, der auf die Weisheit hört, wird weiser sein, weil es kein Ende der Weisheit gibt. Deshalb muss man immer weiter lernen und auch in den letzten Stunden begierig nach den Grenzen der Weisheit forschen. Das Ziel des Klugen ist die Weisheit, und deswegen wollen wir, je näher wir diesem Ziele sind, mit umso größerer Leidenschaft zusammen mit der Natur eilen, begierig dies zu erreichen. Die Tugendregung ist gleichsam von der Natur gegeben und deshalb sehr stark. Wenn auch das Sehvermögen im Alter schlecht wird, so wird doch der Blick durch den Verstand geschärft. Es ist deshalb angemessen, dass wir auf die Wissenschaft umso mehr Mühe verwenden, je stärker das Urteilsvermögen des Verstandes ist. Denn solange wir hier leben, bleiben wir niemals in derselben Verfassung. Wenn wir keine Fortschritte machen, lassen wir deshalb bald nach. Dass es sich so verhält, erkennen wir an den wandelbaren Dingen, da ja die Sonne zurückkehrt, wenn sie nicht fortschreitet, und der Tag sofort abnimmt, wenn die Nacht zunimmt. Ebenso neigt sich der Lebenslauf bald zum Alter, wenn er nicht mehr fortgesetzt wird. Solange du auf dem Weg bist, lerne also immer und glaube niemals, dass es genug ist. Denn du gehst rückwärts, wenn du stehen bleibst! Kein Wunder, dass die Natur keines unserer Glieder rückseitig, sondern nur vorne angebracht hat, damit wir beim tugendhaften Handeln nicht rückwärts, sondern immer vorwärts gehend uns weiter entwickeln. Die meisten unserer Sinnesorgane sind vorne platziert, und dort befinden sich auch unsere Hände und Füße.“ Nach diesen Worten entfernte sich der Fuchs.