Bodemann, Ulrike: Die Cyrillusfabeln und ihre deutsche Übersetzung durch Ulrich von Pottenstein

Aus Brevitas Wiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Zitation

Bodemann, Ulrike: Die Cyrillusfabeln und ihre deutsche Übersetzung durch Ulrich von Pottenstein. Untersuchungen und Editionsprobe. München/Zürich 1988

Beschreibung

Dissertation zu Speculum sapientiae (Übertragungsreihe) und Buch der natürlichen Weisheit (Ulrich von Pottenstein) mit Teiledition einzelner Fabeln.

Inhalt

Vorwort

  • Ziel der Dissertation ist es, „am Beispiel der Cyrillusfabeln Dimensionen der Lösung eines literarischen Musters aus der lateinischen und der Anpassung an die deutsche Schriftkultur darzustellen […]“. (S. V)

Einleitung

  • Die ‚Cyrillus-Fabeln‘ sind wahrscheinlich im zweiten Viertel des 14. Jahrhunderts von Bonjohannes von Messina verfasst worden. (S. 2f.)
  • „Die reiche handschriftliche Überlieferung [der] ersten Übersetzung belegt ihre Bedeutung in der Literaturlandschaft des 15. Jahrhunderts.“ (S. 3)
  • Biografische Informationen zu Ulrich von Pottenstein: „Anfangs der neunziger Jahre des 14. Jahrhunderts, spätestens 1396, übernahm ein bis zu diesem Zeitpunkt nicht nachweisbarer Geistlicher mit Namen Ulrich die Pfarre Pottenstein (südwestlich von Wien) vermutlich als landesfürstliche Pfründe; zum Wiener Hof stand Ulrich möglicherweise schon vor dem Antritt dieser Pfarrstelle durch seine seelsorgerischen Dienste als Kaplan der Herzogin Beatrix, der Frau Albrechts III., in enger Verbindung. Als Pfarrer von Pottenstein, also wahrscheinlich nach 1396, trat er dem Wiener Domkapitel von Sankt Stephan bei. Von 1404 bis 1408 war er Pfarrer in Mödling, damit erneut Herr einer landesfürstlichen Patronatspfarre; anschließend übernahm er als Pfarrer und Dechant die Stadtkirche in Enns bei Linz. Dort wurden seine Verbindungen zum Herzogshof ergänzt durch enge Kontakte zu Reinprecht von Wallsee, Hauptmann ob der Enns und ab 1412 Hofmeister Albrechts V. Ob und vor allem inwieweit auch Beziehungen zur Wiener Universität und ihren Lehrern bestanden, ist unklar. Das Kanonikat bei St. Stephan hat Ulrich sicher mit Universitätslehrern zusammengeführt, und offenbar setzte sich die theologische Fakultät in mindestens einem Fall für die Verbreitung von Ulrichs Schriften ein […]. Ende 1416 oder Anfang 1417 muß Ulrich von Pottenstein gestorben sein.“
  • Entstehungszeit der Fabelübersetzung: „Will man einem zweifach überlieferten Kolophon der Fabelsammlung glauben, das Ulrich als decanum ecclesiae Lanreacensis nennt, so fällt die Fabelübersetzung in seine Amtszeit zu Enns, also zwischen 1408 und 1416.“ (S. 4)
  • Das Buch der natürlichen Weisheit existiert in zwei Redaktionen: Eine mit 16 HSS und einer Inkunable breit überlieferte Redaktion ist von einer starken stilistischen Aufschwellung gekennzeichnet; die zweite Redaktion ist mit nur zwei HSS schmal überliefert. (S. 4)
  • "Die Cyrillus-Sammlung wird von Ulrich von Pottenstein nicht nur zum ersten Mal ins Deutsche übersetzt, sondern die Pottenstein-Übersetzung gilt darüber hinaus auch als die vielleicht erste deutsche Prosafabelsammlung überhaupt und - im Unterschied zu allen früheren volkssprachigen Bearbeitungen lateinischer Fabeln - als die erste vorlagengetreu verfahrende Übersetzung." (S. 7)

[I.] Untersuchungen zum Texttyp der Cyrillusfabeln

[1.] Elemente einer Cyrillusfabel

  • "Die Handlungsstruktur der Fabel ist denkbar einfach: Begegnung - Belehrung - Trennung der Protagonisten sind die Stationen, die [...] das Aktionsgerüst darstellen. In der textuellen Ausarbeitung dieses Verlaufs lassen sich deutlich fünf Teile abgrenzen". (S. 9)
    • Überschrift: Thema der Fabelbelehrung (S. 9f.)
    • Exposition: Darstellung einer Eigenschaft bzw. eines Verhaltens des einen Protagonisten (S. 10)
    • Infragestellung: Die Eigenschaft bzw. das Verhalten wird durch den zweiten Protagonisten in Frage gestellt (S. 10)
    • Lehrrede: Ausführlicher Vortrag von Lehrweisheiten (S. 11f.). "Die 'Sprechfähigkeit', das Basismerkmal der Anthropomorphisierung von Protagonisten in Fabeln und Tierdichtungen, wird in den Cyrillusfabeln sublimiert zur 'Eloquenz'". (S. 13)
    • Schlussformel: Anerkennung der Lehre durch den Belehrten (S. 13f.). "Primäres Ziel der Lehre ist es [...], den Belehrten zur Einsicht - nicht zum Handeln - zu bewegen, und diese Einsicht wird im Schlußsatz bestätigt, indem auf die Freude über die erhaltene Belehrung [...], auf die Beschämung des Belehrten [...] oder einfach auf die einvernehmliche Trennung der Protagonisten hingewiesen wird [...]." (S. 14)
  • Die Cyrillus-Fabel "demonstriert, wie Moral effektiv doziert werden kann." (S. 14)

[2.] Das integrale Lehrsystem

  • In der Vorrede "erläutert [der Verfasser] als den Hintergrund der viergeteilten Anlage seiner Sammlung das Schema der vier Kardinaltugenden, präzisiert also seinen auf moralphilosophische Systemhaftigkeit abhebenden Lehranspruch. Ein solches ethisches Postulat ist im Vergleich mit zeitgenössischen Fabelkonstellationen einzigartig". (S. 16)
  • "Was in den Lehren der einzelnen Fabeln folgt, hat allerdings wenig mit der systematischen Erschließung eines festen Tugendschemas zu tun, baut nicht einmal analytisch, nämlich durch separate Abhandlungen jeweils genau voneinander abzugrenzender Untertugenden, einen Tugendkatalog auf, sondern füllt den durch den Tugendquatenar vorgegebenen, inhaltlich jedoch offenen Gliederungsrahmen in assoziativer Reihung von Morallehren nuancenreich aus." (S. 21)
  • "Die Opposition Weisheit-Torheit, dem Programm nach Leitthema des ersten Buches [...], ist [...] strukturgebend für jede Fabel und jede Lehrrede, nicht nur die des ersten Buches; immer stehen sich als Protagonisten der Weise und der Unwissende [...] gegenüber. Auf diese mehr intellektuelle als moralische Grundkonstellation werden auch alle weiteren, peripher bleibenden Oppositionen, etwa gut - böse, stark - schwach, arm - reich etc., zurückgeführt." (S. 21)
  • Das zweite Buch, contra superbiam, ist mit 30 Fabeln das umfangreichste der Fabelsammlung und legt damit den Schwerpunkt auf das Laster superbia. (S. 24)
  • Das dritte Buch, contra avaritiam, geht wie schon das zweite "didaktisch 'problemvertiefend'" (S. 24) vor.
  • Das vierte Buch, contra luxuriam, ist mit 11 Fabeln das knappste. (S. 24)
  • Die Fabeln "streben nicht - wie das 'Fabula docet' der aesopischen Fabeln - eine Übertragung des nicht-menschlichen Models auf eine menschliche Wirklichkeit an, sondern in ihnen ist der Unterschied zwischen Fiktion und Faktizität ganz aufgehoben." (S. 25) Die Fabelsammlung besitzt damit eine Lehrintention, die mit derjenigen der Fürstenspiegel vergleichbar ist, ohne dass damit das implizierte Publikum festgelegt werden könnte. (S. 25-27)

[3.] Die Rhetorik des Tugendhaften

  • "Das argumentative Substrat der fabelinternen Tugendreden ist nicht von schlüssigen Beweisketten, sondern von anschaulichen Überzeugungsstrategien bestimmt. Richtschnur der Unterweisungsrhetorik ist in erster Linie die moralische Akzeptabilität der Redeinhalte, nicht notwendig auch ihre logische Stringenz." (S. 28)
  • "Im Vordergrund stehen solche [rhetorischen] Verfahren, die als modi dilatandi in den spätmittelalterlichen artes praedicandi große Bedeutung hatten und dem Autor wie dem Übersetzer, da wohl beide Kleriker waren, gleichermaßen geläufig gewesen sein dürften." (S. 30)
    • Modus definiendo, describendo, interpretando (S. 30f.)
    • Modus per auctoritates concordantes (S. 31)
    • Modus per causas et effectus (S. 31)
    • Modus ratiocinando seu argumentando (S. 32)
    • Modus exponendo metaphoras secundum proprietatem rei (S. 32)
  • Zitierte Autoritäten:
    • Bibel (S. 33)
    • Antike Erzählliteratur, konzentriert auf das Buch III (S. 33)
    • Die Natur und ihre Deutung (S. 34)

[4.] Die Fabel als fiktionaler Referenzrahmen

  • "Was sich der analytischen Textbetrachtung als offenkundig systematische Abweichung von aesopischen Konventionen darstellt (rhetorische Argumentation statt Handlungspointen, Tugendlehre statt Verhaltenskasuistik), ist [...] vom Verfasser (und Übersetzer) nicht programmatisch als Grundlage einer ganz anderen Gattungsauffassung gedacht. Vielmehr scheinen die cyrillischen Fabeln einem Bestreben Ausdruck zu geben, die Gattung Fabel gleichsam von innen heraus und unter Nutzung derjenigen Anregungen zu beleben, die das Gattungsspektrum der aesopischen Fabel in der Mitte des 14. Jahrhunderts zur Verfügung stellte." (S. 39)
  • Die Vermenschlichung der Tierakteure konzentriert sich "auf das anthropomorphe Merkmal der Argumentationsfähigkeit [...]. Die Akteure handeln zwar lediglich sprachlich als Menschen, dies aber um so extensiver, indem sie sich rednerisch höchst gewandt und gelehrt gebärden." (S. 39)
  • Die Fabelsammlung ist gezielt jenseits der Aesoptradition formuliert, da auch übernommene Motive umfunktionalisiert werden. Sie zielt auf einen "andersartigen Sammlungs- und Funktionstyp der Fabel" (S. 43), ähnlich wie der "Dialogus creaturarum moralizatus".
  • "Mit ihrer Emanzipation der Lehre und der völligen Eigenständigkeit des Motivschatzes könnte sich die Cyrillus-Sammlung als einer der exponiertesten Vertreter einer vorhumanistischen 'Erneuerungsbewegung' im Bereich der Fabelliteratur herausstellen". (S. 45)
  • "In den Tugendreden zahlreicher Fabeln werden zitatehaft Tiermotive aufgegriffen, die in Handlungsexpositionen anderer Cyrillusfabeln ebenfalls Anwendung finden. [...] Dort also, wo man wenig erfolgreich nach Stoffspuren anderer Fabeltraditionen sucht, 'zitieren' die Cyrillusfabeln sich gegenseitig." (S. 46)

[II.] Untersuchungen zur Überlieferungsgeschichte

[1.] Überlieferungsübersicht

[a.] Die handschriftliche und die Drucküberlieferung des lateinischen Textes
[b.] Die handschriftliche und die Drucküberlieferung der deutschen Übersetzung Ulrichs von Pottenstein (mit Siglenverzeichnis)
  • Siglen der deutschen Überlieferung:
    • B1 Berlin, Staatsbibliothek Preußischer Kuhurbesitz, ms. germ. foL 641
    • B2 Berlin, ebd. ms. germ. fol. 459
    • B3 Berlin, ebd. ms. germ. qu. 38
    • Ba Basel, Öffentliche Bibliothek der Universität, cod. F II 3la
    • C Churburg (Schluderns), Archiv der Grafen Trapp, o. Sign.
    • E Eger (Erlau, Ungarn), Diözesanbibliothek, Cod. U2.III.3
    • Eg London, British Library, cod. Egerton 1121
    • H Herzogenburg, Stiftsbibliothek, cod. 369
    • K Klagenfurt, Bischöfliche Bibliothek, cod. XXXI b 24
    • M1 München, Bayerische Staatsbibliothek, egm 340
    • M2 München, ebd. egm 254
    • Me1 Melk, Stiftsbibliothek, cod. 551 (961)
    • Me2 Melk, ebd. cod. 437 (88, B 55)
    • N München, Bayerische Staatsbibliothek, egm 583
    • O München, ebd. egm 584
    • P Konstanz, Privatbesitz, o. Sign. (ehemals Ashburnham-Place 487)
    • St Stockholm, Kungliga Biblioteket, cod. X 537
    • W Wien, Österreichische Nationalbibliothek, cod. 12645
    • l Druck (Augsburg: Anton Sorg 1490)

[2.] Räumliche und zeitliche Verbreitung

  • "Der ältesten Cyrillus-Handschrift Vat. lat. 4462, zwischen 1337 und 1347 entstanden, folgen bis zur Jahrhundertwende nur einige wenige Abschriften. Im frühen 15. Jahrhundert setzt dann eine kontinuierliche, relativ stetig wachsende Überlieferung ein, die in den 60er Jahren ihren Höhepunkt erreicht und in den 70er Jahren zugunsten der einsetzenden Drucküberlieferung schnell abklingt. Die Frühdruckproduktion, die acht verschiedene Ausgaben umfaßt, schließt damit lückenlos an die reiche handschriftliche Tradierung an, ohne sie allerdings völlig zu ersetzen." (S. 73)
  • Ausgangspunkt der lateinischen Fabelsammlung ist Oberitalien (S. 73), sie erscheint um 1400 nördlich der Alpen an mehreren Orten zugleich, mit Schwerpunkt im Städteviereck München - Wien- Prag - Nürnberg (S. 74).
  • Von dort aus entstehen zwei Stränge volkssprachlicher Rezeption: Ulrichs von Pottenstein Übersetzung ins Deutsche und eine Übertragung ins Tschechische. (S. 74)
  • "Ausgangspunkt der deutschsprachigen Überlieferung der Fabeln ist wohl Enns bei Linz, die letzte Wirkungsstätte Ulrichs von Pottenstein, an der er sehr wahrscheinlich seine Übersetzung abgeschlossen hat." Die Überlieferung setzt erst ein Jahrzehnt später, ab 1425, ein. (S. 78)

[3.] Die Ausstattung der Handschriften: Werkpräsentation und Anspruchsniveau

  • Die lateinischen Handschriften verzichten mit einer Ausnahme auf Bildausstattung, die deutschen sind grundsätzlich bebildert (S. 80), und dies in großer Übereinstimmung (S. 81).
  • "Sicherlich ist die Bildausstattung, die den deutschen Cyrillusfabeln nach und neben der lateinischen Texttradierung unvermittelt neue Rezeptionsqualitäten gibt, Ausdruck der literarischen Emanzipation von der Latinität zur Volkssprache und Begleiterscheinung der 'Literaturexplosion' des Spätmittelalters, die vor der Druckinnovation bereits zur manufakturhaften Handschriftenproduktion und serienmäßigen Illustration geführt hatte." (S. 83)
  • "In der deutschen Überlieferung bleibt [...] vom zweiteiligen Titelaufbau [der lateinischen Fabelsammlung] nur noch der Moralsatz erhalten; die protagonistenbezogenen Überschriften fehlen völlig, ebenso im übrigen wie die in mehreren lateinischen Handschriften auftretenden, textbegleitenden Randnotierungen der Fabelfiguren. Die Aufgabe, die Fabelsituation anzukündigen, wird nun ausschließlich der Bildausstattung überlassen." (S. 89)

[4.] Die Mitüberlieferung: Text-Kontext und Leserinteresse

  • "Die meisten lateinischen Handschriften überliefern die Cyrillusfabeln als Bestandteil umfangreicher Textsammlungen. [... E]s handelt sich fast ausschließlich um Werke der im 15. Jahrhundert so umfangreichen philosophisch-theologischen Literatur über moralische Fragen der Lebensführung. Sehr zahlreich findet man in der Nachbarschaft der Cyrillusfabeln speziellere Literatur zur Tugendlehre vertreten." (S. 91)
  • In der deutschen Überlieferung überwiegt der Typus der Alleinüberlieferung. (S. 99)
  • "Unterweisung im rechten Verhalten im Leben, »Lebenshilfe« also, erwarten sich die Leser der mit der deutschen Cyrillus-Sammlung überlieferten und auf sie abfärbenden Schriften." (S. 108)

[III.] Vorarbeiten zu einer Ausgabe und Editionsprobe

[1.] Die Überlieferungsfiliation der deutschen Übersetzung Ulrichs von Pottenstein

  • "[D]ie Handschriften M2 und W [überliefern] einen Text, dessen Verhältnis zum lateinischen Originaltext und damit zweifellos auch zum deutschen Archetyp vom Anfang bis zum Ende der Fabelsammlung konstant bleibt, während alle übrigen Textzeugen an einem recht genau bestimmbaren Punkt diese Basisredaktion verlassen und eine veränderte Redaktion, eine «Bearbeitungsstufe« vertreten, die mit der Fülle ihrer Überlieferung zur Vulgatafassung wird." (S. 114)
[a.] Stemmatische Gruppenbildung
  • Zwei Großgruppen: (S. 115)
    • B1 B3 C E Eg H I Me2 O P. Gemeinsame Vorstufe *Z
    • Ba K M1 M2 Me1 N St W
      • M2 und W gehen auf die gemeinsame Vorstufe *X zurück.
      • Me1 N M1 Ba und K gehen auf die gemeinsame Vorstufe *Y zurück.
[b.] Gruppeninterne Filiationen
[c.] Das Verhältnis zum Archetyp
  • Die Lesartenanalyse v.a. von *X und St legt nahe, dass von zwei Archetypen auszugehen ist. (S. 136)

[2.] Lateinischer Text und Übersetzungsvorlage

  • Kritik an Graesses Ausgabe des Speculum.

[3.] Grundsätze einer Textausgabe

  • Bisherige Ausgaben des lateinischen (S. 142) und des deutschen Textes (S. 143).
  • Grundlagen der Edition:
    • Keine textkritische Methode (da kein Archetyp), sondern überlieferungsgeschichtliche Methode. (S. 143f.)
    • Mitedierung der lateinischen Vorlage. (S. 144)
    • Ediert werden sollen die wirkstarke Vulgatafassung *Z und die Sonderfassung *X. (S. 144)
    • Bis zur Fabel II,16 (redaktionelle Schwelle) genügt *Z mit Apparat, danach braucht es eine synoptische Edition. (S. 144f.)

[4.] Synoptische Editionsprobe (Vorrede, I,24, II,13, II,21, IV,1)

[IV.] Untersuchungen zur übersetzerischen Textgeschichte

[1.] Pottensteins Übersetzung: Methode als Problem

  • "Vergleicht man kürzere Passagen der Fabeltexte in deutscher Übersetzung mit ihren lateinischen Vorlagen, so wird nicht selten der Eindruck aufkommen, man habe es in Ulrichs Textversion mit einem völlig vorlagengetreuen, ähnlich einer Interlinearglossierung verfahrenden Sprachtransfer zu tun". (S. 180)
  • Dennoch kann nicht von sklavischer Übersetzung die Rede sein: Auf Wortschatzebene fällt "die Ungezwungenheit des Übersetzers auf, mit der er sich gerade nicht darum bemüht, um jeden Preis ein dem lateinischen Ausdruck präzise entsprechendes 'Neu-Deutsch' zu schöpfen." (S. 181)
  • "Pottensteins Paraphrasierungsoperationen entfernen den Übersetzungstext weiter von der Vorlage, als es der reine Sprachtransfer verlangt." (S. 184)
  • Pottenstein scheint "seine Aufgabe als Übersetzer darin zu sehen, semantisch-logische Abhängigkeitsbeziehungen zwischen einzelnen Aussagen bei der Übertragung ins Deutsche besonders klar herauszuarbeiten [. ... D]as Mißverhältnis zwischen Vorlage und Endtext [scheint] neben sprachspezifischen auch übersetzer- und adressatenspezifische Ursachen zu haben: Der Übersetzungsstil stellt sich so als Ausdruckskomponente einer umfassenden literarischen Kommunikationssituation dar." (S. 186)
  • Ulrich übersetzt nicht Wort-für-Wort, sondern Sinn-für-Sinn (umbred). (S. 188)

[2.] Die Übersetzungsdominante: Expandierung als Explizierung der Textkohärenz

  • Pottenstein erhebt die Explizierung von Konnexionsanweisungen bei seinen Erweiterungen zum Prinzip. (S. 195)
  • Bei den Expandierungen nimmt Pottenstein ausschließlich Ansatzpunkte aus dem Fabelkontext oder aus der Fabelsammlung her. (S. 196)
  • "Textversatzstücke, deren Deutung aufgrund fehlender kultureller Prämissen - hier etwa der Kenntnis konventioneller Exempelquellen: Bibel und allegorische Naturkundeliteratur - bei den Rezipienten divergieren könnte, bei denen die Invarianz ihrer Aufnahme nicht garantiert ist, veranlassen Pottenstein zu expandierenden Eingriffen." (S. 199)
  • "[D]ie Explizierung von Verständnispräsuppositionen reduziert für die intendierte Leserschaft das intellektuelle Anspruchsniveau." (S. 199)
  • "Die Aufmerksamkeit, die Pottenstein beim Übersetzen auf den Überzeugungs- und Belehrungscharakter der Moralreden verwendet, wird an [... einer] Explizierung persuasiver Textfunktionen sichtbar". (S. 202)

[3.] Die erweiterte Vulgatafassung: Affektbetonung als Stilprinzip

  • "Mit dem Stilwechsel ab 11,16 [...] entfernt sich die Zweitfassung durch neue Expandierungsvorgänge weiter von der Vorlage; Explizierungen werden zum Selbstzweck hypertrophiert und verlieren ihre auf die Vermittlung eines allseits verständlichen Argumentationszusammenhangs gerichtete Funktionalität. Dem neuen Stilideal gilt eine geschlossene Textherstellung weniger als die sprachliche Aufschwellung einzelner, je aus dem semantischen Gesamtzusammenhang herausgelöster Textfragmente." (S. 209)

[V.] Untersuchungen zur literarischen Rezeption der Cyrillusfabeln

[1.] Die 'Fabellae' des Gregorio Correr

  • Correr adaptiert in seinen Fabellae vor allem cyrillische Stoffe, vgl. Listung S. 218f.
  • Correr übernimmt vor allem Fabeln mit tierischem Personal und mit Stoffparallelen zur Äsop-Tradition. (S. 219)
  • Die Deutung und Auslegung der Fabeln bleibt völlig dem Leser überlassen. (S. 220)

[2.] Von Ulrich von Pottenstein zu Hans Sachs

  • Von den Fabelbearbeitern des 16. Jahrhunderts greift nur Hans Sachs nachweislich auf die Übersetzung Ulrichs von Pottenstein zurück. (S. 221)
  • Listung der Adaptionen (S. 222f.)
  • Sachs formt die Cyrillus-Fabeln völlig um und legt nicht Wert auf verbale Belehrung, sondern auf das Vorführen moralisch guten oder schlechten Verhaltens. (224)
  • "Während die Anzahl der Meistersangfabeln, die auf Steinhöwels >Esopus< beruhen, cyrillische Meistersangfabeln um ein Fünffaches übertreffen, sind unter den Spruchgedichten Sachsens nicht einmal doppelt soviele Aesop- wie Cyrillusfabeln. Die für mündlichen Vortrag gedachten Fabelbearbeitungen werden also von den landläufig bekannteren aesopischen Stoffen beherrscht, selbst wenn sich der vom Dichter intendierte Gebrauchsraum dieser Meisterlieder auf die nicht-öffentliche Singschulpraxis beschränkt, für deren elitäre Bewertungskriterien man nicht von vornherein annehmen darf, daß populäre Stoffe entlegeneren vorgezogen wurden. Erst in der spruchdichterischen »Lesefassung« folgen den aesopischen die cyrillischen Fabelbearbeitungen mit geringerem Zahlenabstand." (S. 226)

[3.] Die Basler Neuübersetzung und ihre Versbearbeitung durch Daniel Holzmann

  • Holzmann möchte die Cyrillus-Fabeln den aesopschen Fabeln ähnlicher machen. (S. 228)
    • Umformung der Kapitelüberschriften in den Büchern 3 und 4 zu Lehrsätzen. (S. 228)
    • Verzicht auf die Schlussformel (S. 228)
    • Moralische Randnotizen (S. 229)

[4.] Gebrauchssituationen selektiver Fabelrezeption

[a.] Einzelfabeln als Erzählstoffe
[b.] Die Fabelsammlung als Lehrfundus
  • Sebastian Frank übernimmt viele Cyrillus-Fabeln in seinen Sprichwörtern. (S. 243)
  • Die Cyrillus-Fabeln dienen Franck ebenso wie die aesopischen zum Beleg für die Wahrheit eines Sprichworts. (S. 245)
  • "Die Tugendreden der Fabeln, weniger die Fabelerzählungen, bilden den roten Faden einer assoziativen Aneinanderreihung von Sprichwörtern. Franck hat augenscheinlich systematisch und streng der Reihe nach die Fabeln nach brauchbaren Lehrsätzen abgesucht, diese zu griffigen Sprichwörtern umformuliert, um dann um sie herum die zu entsprechenden Themen »in seinem Zettelkasten stehenden Sprichwörter auszuschütten« (Meisser, S. 157). Die sprichworthaften Randkommentare der Basler Übersetzung mögen ihm die Anregung dafür gegeben haben." (S. 246)
  • Auch in Jüngere Reynke de Vos-Glosse werden Cyrillus-Fabeln adaptiert. (S. 247)
[c.]´Ausklang spätmittelalterlicher Fabelrezeption: Eucharius Eyering
  • Als Letzter übernimmt Eucharius Eyering einige Cyrillus-Fabeln in Proverbiorum Copia (Eucharius Eyring). (S. 251)
  • "Im Kompilieren richtet sich das Auswahlinteresse Eyerings ausschließlich auf die »ausbaufähigen« Erzählinhalte seiner zahlreichen Quellen. Die Cyrillusfabeln geraten nun zu seitenlangen Reimereien, in denen sich das Ingenium des Autors vielleicht einzig in der kaum unfreiwilligen Vortragskomik zeigt, die er trotz oder gerade in der syntaktisch-logischen und gelegentlich auch versifikatorischen Brüchigkeit seiner Bearbeitungen zu erzeugen versteht". (S. 253)
[5.] Zusammenfassung