Das Büchlein (B24): Unterschied zwischen den Versionen

Aus Brevitas Wiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen
 
(9 dazwischenliegende Versionen desselben Benutzers werden nicht angezeigt)
Zeile 25: Zeile 25:
habe, nicht mehr sehen und ihre Gnade nicht vergelten könne.
habe, nicht mehr sehen und ihre Gnade nicht vergelten könne.
===D Narr und Kluger (171–270):===
===D Narr und Kluger (171–270):===
Narr und Kluger erfahren unterschiedliche gesellschaftliche Wertschätzung, aber auch unterschiedliches Leid. Der Kluge versuche,  
Der Sprecher kontrastiert die Lage des Klugen, der zwischen weltlichen und göttlichen Ansprüchen zerrieben wird und zudem unter der Liebe leidet, mit der Sorglosigkeit des Narren, den solche Lasten nicht berühren. Er selbst stehe zwischen beiden, erkenne aber, dass Narrheit ihn von seinem Liebesleid befreien könnte. Dennoch hindern ihn Hoffnung, sein Entschluss, der Dame ehrenvoll zu dienen, und die Einsicht, dass eine Abkehr von ihr ihm nur schadete, daran, den Verstand – und damit sein Leid – aufzugeben.
den Ansprüchen der Welt und denen Gottes gerecht zu werden, habe aber als Diener
 
zweier so unterschiedlicher Herren keine Ruhe. Zudem bereite ihm die Liebe Leid.
Der Narr hingegen sei von solchen Problemen frei, sorglos und unbeschwert (210f.:
''Ein stücke brotes in der hant | ist alliu sine minne''). Der Sprecher sieht sich zwischen  
den beiden stehen; er sei aber zumindest so klug zu erkennen, dass es besser für ihn
wäre, ein Narr zu sein, um die Probleme seiner Liebessehnsucht hinter sich zu lassen.  
Den Verlust seines Verstandes – und damit seines Leides – verhinderten andererseits
seine Hoffnung auf ein gutes Ende, sein Vorsatz, alle Wünsche der der Dame ehrenvoll zu erfüllen und die Erkenntnis, dass er durch eine Abkehr von der vollkommenen Dame nur sich selbst schädigen würde.
===E Unauflösbarkeit des Dienstes (271–342):===
===E Unauflösbarkeit des Dienstes (271–342):===
Andere hätten mit ihrer Treue mehr  
Der Sprecher erkennt neidlos an, dass andere mit ihrer Treue mehr Glück haben oder den Verlust einer Liebe leichter verwinden können. Könnte er an seiner Dame nur einen Makel finden, fiele auch ihm die Trennung leicht – doch ihre Vollkommenheit lasse seinem Verstand keinen Ausweg. Daher erinnert er sie an ihre Pflicht gegenüber ihm als treuem Eigenmann: Trotz langer Trennung durch ''Huote'' und schlechte Ratgeber solle sie seine Liebe erwidern und seinen Schmerz wenn auch in milderer Form mittragen.
Glück, oder könnten sich leichter über den Verlust einer Liebe (und sei es die einer
 
Fürstin) hinwegtrösten, was der Sprecher neidlos anerkennt. Fände er nur einen  
Makel an der geliebten Dame, könnte er sich auch leicht von ihr trennen da sie
vollkommen sei, könne sein Verstand keinen Trennungsgrund finden. Der Sprecher
erinnert die Dame an dieser Stelle an ihre Verpflichtung gegenüber ihm als treuem  
Eigenmann (Dienst-Lohn-Mechanismus), d.h. sie solle trotz langer Trennung durch  
die ›Huote‹ oder missgünstigen Ratschlägen seine Liebe erwidern und den Schmerz  
mittragen (wenn auch in geringerem Maße, als er ihn erleide denn dieser brächte
sie um).
===F Ehre und Schande (343–380):===
===F Ehre und Schande (343–380):===
Für die Weisen, die ins Innere der Menschen schauen können (343f.: ''die wisen die […] der liute muot spehent''), sei klar, dass ihm die  
Für die Weisen, die in Menschenherzen zu lesen vermögen, sei offenkundig, dass die Dame ihm zugleich Ehre und Schande bringe: Ehre durch die Zuneigung einer vollkommenen Frau, Schande durch seine seit der ''Huote'' eingetretene Sprach‑ und Handlungsunfähigkeit, die ihn am Ende wie einen Verrückten erscheinen lasse.
Dame zugleich Ehre und Schande einbringe: Ehre, weil die Zuneigung einer solch
 
vollkommenen Frau ehrenvoll sei; Schande, weil er, seit die ›Huote‹ das Verhältnis
unterbunden habe, völlig kommunikations- und handlungsunfähig sei und absehe,  
dass man ihn für verrückt halten werde.
===G Tod als Leidvertreib (381–406):===
===G Tod als Leidvertreib (381–406):===
Was die Glücklichen fürchteten, das bereite ihm
Was andere Glückliche fürchten, erfülle ihn mit Freude: Der unausweichliche Tod sei für ihn keine Drohung, sondern ein Trost, weil er ihn spätestens in achtzig Jahren, vielleicht früher von seinem Leiden befreien werde.
Freude. So sei für ihn die Aussicht auf den unausweichlichen Tod keine Drohung.
 
Es sei vielmehr tröstlich, dass der Tod ihn spätestens in achtzig Jahren, wenn nicht
früher, von seinem Leiden erlösen werde.
===H Das kleinere Übel (407–450):===
===H Das kleinere Übel (407–450):===
Da er keine Lösung kenne, müsse er von zwei Übeln
Er sieht keinen Ausweg und müsse daher das geringere Übel wählen: Treue samt Leid statt Untreue und leichter Unbeschwertheit, die zur Verdammnis führe. Außerdem brauche es zeitweiligen Kummer als Gegenpol, um Freude überhaupt wahrnehmen zu können – wie Blumen, deren Blüte erst nach dem Winter begehrenswert erscheint. Mit sicherer Aussicht auf Trost wäre solches Leid erträglich, doch gerade diese fehlt ihm.
das kleinere wählen: Also Treue und Leid statt Untreue und Unbeschwertheit, da
 
in letzterem Fall die ewige Verdammnis folge. Zudem sei zeitweiliger Kummer als  
Kontrast notwendig, um überhaupt Freude empfinden zu können (436–446: Beispiel
der Blumen, deren Blüte man nur nach dem Winter als besonders wahrnehmen und
erwünschen könne). Mit sicherer Aussicht auf Trost – die er nicht habe – sei Kummer gut zu ertragen.
===I Unmöglichkeit des Verzichts (451–580):===
===I Unmöglichkeit des Verzichts (451–580):===
Der Sprecher gibt einen ›brüderlichen‹
Der Sprecher erteilt allen Leidensgefährten einen brüderlichen Rat: nicht nach dem Unerreichbaren zu streben. Ihm selbst sei das früher gelungen, nun aber sei er feige und machtlos – jeder Versuch, die Liebe aufzugeben, vergrößere nur den Schmerz. Die Weisen meinten zwar, ein Mann könne auf alles verzichten; er müsse daher wohl ein Frauenherz besitzen. Auch die Behauptung, man könne Liebe durch neue Liebe vergessen, nennt er eine „schneidende Lüge“: Er habe es versucht, doch selbst im Umgang mit anderen Damen habe ihn die Geliebte nicht losgelassen, ja er habe unwillkürlich ihren Namen ausgesprochen. Leere Schwüre und erzwungene Fröhlichkeit halfen nichts; stets fiel er in sein altes Leid zurück. In einer Allegorie kämpfen Freude und Schmerz in ihm – die Freude flieht, das Leid bleibt. Hebe Gott die üble ''Huote'' nicht auf und ermögliche ihm die Liebe zur Geliebten, werde er gewiss sterben.
Rat an alle, denen es ähnlich gehe wie ihm: Sie sollen nicht nach dem streben, was sie
 
nicht haben können. Ihm selbst sei das bisher immer gelungen, nun aber sei er feige  
und machtlos: Wenn er nicht mehr nach der Liebe streben wolle, vergrößere sich nur  
der Kummer. Da die Weisen für möglich hielten, dass ein Mann auf alles verzichten  
könne, müsse er selbst wohl das Herz einer Frau besitzen und ein Feigling sein. Eine
andere Wahrheit der Weisen, dass man Liebe durch eine neue Liebe vergessen könne,  
klagt er als ''snidende lüge'' (511) an: Er habe dies versucht, und um Damen, die der Geliebten in nichts nachstünden, geworben. Im Liebesspiel mit einer anderen sei ihm
die Geliebte aber nie aus dem Sinn gegangen, er habe sogar ihren Namen ausgesprochen, sodass die andere seine Gebundenheit erkannt habe (Wiedergabe wörtlicher
Rede 538: ''geselle, du minnest anderswar''). ›Ungestabte‹ (nicht ernst gemeinte; ''ungestabten'' aus ''vngestalten'' konjiziert) Eide habe er geschworen. Er habe versucht, sich
selbst zur Freude zu zwingen (554: ''und huop ein liet an und wart fro''), sei aber immer
schnell in den alten Zustand zurückgefallen. Allegorie des inneren Kampfes: Nach
kurzem Ritt beginnen Freude und Leid ihren Kampf; Freude flieht und überlässt den
Sprecher der leidvollen Sehnsucht. Hebe Gott die ›Huote‹ (576: ''dise übele huote'')
nicht auf und ermögliche, dass er die Geliebte minnen könne, so müsse er gewiss  
sterben.
===J Allgemeine Weisheit und eigene Erfahrung (581–643):===
===J Allgemeine Weisheit und eigene Erfahrung (581–643):===
Der Sprecher berichtet von
Der Sprecher verweist auf einen Weisen, der im Vertrauen darauf, dass auf Leid Freude folgt, nie klage, und auf die gängige Meinung, jeder Schaden nütze am Ende doch. Er selbst kenne zwar seinen Schaden, warte aber vergeblich auf den Nutzen und fürchte, Gott halte ihn zu lange zurück – was solle ihm Minnefreude im Alter nützen, wenn beide einander dann nicht mehr entsprächen? Dem Weisen glaube er nur insofern, als nach Liebe Leid komme; das Gegenteil glaube er erst, wenn er es erfahre. So wenig wie an weiße Kohlen und schwarzen Schnee glaube er an solche Weisheit. Auch die Lehre, dass derjenige keinen Nachteil habe, der teilt und zuerst wählt, habe sich für ihn nicht bewährt: Er habe die Frauen in die Geliebte und alle anderen geteilt und das vermeintlich bessere Teil gewählt – zu seinem Unglück. Daran zeige sich, dass niemand Wirkung und Rechtmäßigkeit seines Handelns sicher beurteilen könne; alles hänge vom Glück ab.
einem ihm bekannten Weisen, der in der Gewissheit, dass auf Leid Freude folgt, nie  
 
klage, sowie von der landläufigen Meinung (588: ''diu werlt giht''), dass jeder Schaden  
zu irgend etwas gut ist. Er dagegen kenne seinen Schaden, warte aber noch auf den  
Nutzen, und fürchte, dass ihm Gott diesen zu lange vorenthalte: Was nütze ihm  
denn die Minnefreude im Alter, wenn er und sie füreinander ''ungeeigent'' geworden
seien (602f.:'' daz ich ir entouc noch si mir – | nu waz sol si mir danne?'')? Dem Weisen  
glaube er, dass nach Liebe Leid folge, nicht aber das Gegenteil, wenn er es selbst nicht
erfahre. An die Weisheit des Weisen glaube er daher so sehr wie an weiße Kohlen und  
schwarzen Schnee (Adynata). Auch die Weisheit, dass der keinen Nachteil habe, der  
bei einer Aufteilung teile und auch als erster wähle, habe sich an ihm nicht bewahrheitet. Er habe die Frauen aufgeteilt in die Geliebte und alle anderen; dann habe er
als das bessere Teil die Geliebte ausgewählt, was sich nun als Unglück erweise. Hieran könne man sehen, dass niemand die Wirkung einer Sache und die Rechtmäßigkeit des Handelns abschätzen könne: Alles sei eine Sache des Glücks.
===K Trost und ›Untrost‹ (644–810):===
===K Trost und ›Untrost‹ (644–810):===
Der Sprecher räumt ein, dass sich die oben kritisierten Weisheiten doch noch bewahrheiten könnten, vorausgesetzt, die Dame sei
Der Sprecher hält es für möglich, dass sich die zuvor kritisierten Weisheiten doch bewahrheiten – sofern die Dame ihm treu bleibt, die Trennung ebenso schmerzt und sie ernsthaft an seiner Liebe festhält. Die unsichere Hoffnung auf eine spätere Vereinigung prüft er, indem er Gründe gegen Untrost und für Trost ihre Treue abwägt:
ihm ebenso treu, leide an der Trennung und sei ernsthaft an seiner Liebe interessiert. Die zweifelhafte Aussicht, nach langer Trennung doch noch zur erlösenden
*1.a Untrost: Seine Abwesenheit könnte ihre Beständigkeit schwächen
Gemeinschaft zu kommen, diskutiert der Sprecher mit einer Folge von Argumenten,
*1.b Trost: Wahre Liebe vergehe nicht.
die gegen (untrost) bzw. für (trost) die Treue der Geliebten sprechen könnten.
*2.a Untrost: Frauen seien wankelmütiger, daher müsse er Nebenbuhler fürchten
1.a.
*2.b Trost: Untreue schade ihrer Ehre, während Männer paradoxerweise durch Abenteuer Ansehen gewännen; zudem bleibe er selbst trotz vieler Begegnungen auf Reisen treu.
Zunächst könnte seine Abwesenheit ihre Beständigkeit schwächen (Sprichwort 673:
*3.a Untrost: Die traditionelle Werbung gefährde ihre Treue, da sie einem tapferen, redegewandten Werber standhalten müsse.
''daz uz ougen daz uz muote'' [aus den Augen, aus dem Sinn] = ›Untrost‹), 1.b. wogegen der Sprecher ein anderes Sprichwort anführt: daz rehtiu liebe niht zerge (681;
*3.b Trost: Ihre Klugheit werde sie zur Treue verpflichten, denn Unbeständigkeit bringe gesellschaftliche und göttliche Missachtung, Beständigkeit dagegen Ehre. Außerdem solle sie die Minne eines beständigen, wohlgestalteten und freundlichen Mannes nicht leichtfertig zurückweisen.
= ›Trost‹). 2.a. Die Frauen wiederum seien wankelmütiger als die Männer, daher  
Der Sprecher schließt mit der Hoffnung, dass sie – wie er – auf eine lebenslange Gemeinschaft ziele.
müsse er besonders Nebenbuhler fürchten, die ihr in seiner Abwesenheit nahe seien
 
(›Untrost‹). 2.b. Die Treue der Geliebten werde jedoch dadurch gestärkt, dass solcher Wankelmut ihrer Ehre schade (›Trost‹) – wohingegen paradoxerweise die Ehre
der Männer durch solche Abenteuer gestärkt werde (700: ''ir schande ist unser ere'').
Zudem treffe er auf seinen Reisen mehr Frauen, als sie Männer treffe, was ihn aber
nicht dazu verleite, ihr untreu zu werden. 3.a. Problematisch sei aber die traditionelle  
Struktur der Werbung (740: ''wan daz ist nach den alten siten''): Ihre Treue sei bei einem Treffen mit einem tapferen und redegewandten Mann gefährdet, weil sie seiner
Werbung beständig widerstehen müsse (›Untrost‹). Er als werbender Mann werde
nie direkt von den umworbenen Damen in Versuchung geführt. 3.b. Abschließend
tröstet sich der Sprecher mit der Erkenntnis, dass die Dame gar nicht anders könne,
als ihm treu zu sein und ihm ewig beizustehen: Sie sei klug genug, um zu wissen, dass die Unbeständige den Hass der Gesellschaft und Gottes auf sich ziehe, die Keusche und Beständige sich dagegen Ehre und Integrität vor Gott und den Menschen
erhalte (›Trost‹). Zudem sollte sie es sich gut überlegen, die Minne eines Mannes
zurückzuweisen, der beständig, wohlgestaltet und freundlich sei. Diese Mahnung
verbindet er mit einer Versicherung, der Dame ganz ergeben und in seinem Streben
voller Hoffnung zu sein, dass sie ebenfalls nach lebenslanger Gemeinschaft mit ihm
strebe (810: ''so müez wir sament alten'').
===L Botenauftrag und Adressierung (811–826):===
===L Botenauftrag und Adressierung (811–826):===
Der Sprecher spricht sein ''kleinez Büechel'' (811) direkt an und gibt ihm dem Auftrag, der Dame in seiner Abwesenheit seine  
Der Sprecher wendet sich direkt an sein ''kleinez Büechel'' und beauftragt es, der Dame in seiner Abwesenheit seine beständige Minne und Herzensnähe zu überbringen. Er versichert, dass eine Trennung niemals von ihm ausgehen würde, und endet mit einem Segenswunsch für ihre Gesundheit und Ehre sowie einem abschließenden Amen.
beständige Minne und die Nähe seines Herzens kund zu tun. Er bekräftigt, dass eine  
Trennung nie von ihm ausgehen würde und schließt mit einem Segenswunsch für  
Gesundheit und Ehre der Geliebten, und einem Amen.


([[Klingner, Jacob/Lieb, Ludger: Handbuch Minnereden]], Band 1, S. 33-36)
(Ausführliche Inhaltszusammenfassung bei [[Klingner, Jacob/Lieb, Ludger: Handbuch Minnereden]], Band 1, S. 33-36)




[[Kategorie:Quelle Minnerede]]
[[Kategorie:Quelle Minnerede]]
[[Kategorie:Quelle Klagerede]]
[[Kategorie:Quelle Klagerede]]

Aktuelle Version vom 21. Dezember 2025, 21:20 Uhr

Das Büchlein (B24)

AutorIn Anon.
Entstehungszeit Nach 1220
Entstehungsort
AuftraggeberIn
Überlieferung Wien, Österreichische Nationalbibliothek: Ser. n. 2663, 26va-28rb
Ausgaben
Übersetzungen
Forschung Klingner, Jacob/Lieb, Ludger: Handbuch Minnereden, Band 1, S. 32-36

Inhalt

A Einleitende Klage (1–52):

Der Sprecher beginnt seine Klage mit einem dreifachen Owe und beklagt, dass ihm aus herzeliebe bitteres herzeleit erwachsen sei. Zwar nennt er sein Verhalten eine wipliche klage, erwartet jedoch Verständnis von allen, die Liebesleid kennen. Bitter bietet er sich dem Sorgenfreien als warnendes Beispiel an – er könne lehren, wie man Gnade in Ungemach verkehre, nicht aber Leid lindern, das er selbst kaum ertrage. Anschließend entfaltet er seine Lage und mögliche Auswege, indem he überlieferte Meinungen und Sprichwörter dagegenhält. Eine klare Gliederung ergibt sich nicht; die Darstellung folgt der Reihenfolge der angeführten Argumente.

B Paradox ›Leid aus Liebe‹ (53–136):

Der Sprecher skizziert zunächst die Ansicht der wisen und vieler Liebender, für die vollkommene, beständige Minne das höchste weltliche Ideal darstellt. Auch er habe diesem Ideal nachgestrebt – doch bei ihm habe die übele huote alle Bemühungen der höfischen Liebe zunichtegemacht. Die Erinnerung an sein früheres Glück werde nun zur schärfsten Qual, weshalb er den glücklich preist, der nie Glück erfahren hat und sein Los ohne Sehnsucht nach Vergangenem ertragen kann.

C Kritik an Treue und Beständigkeit (137–170):

Der Sprecher kritisiert die Meinung, dass Treue und Beständigkeit das höchste Glück und den besten Schutz vor Leid garantierten: In seinem Fall hat Treue zu großem Kummer geführt, da er die Dame, die seine treue Liebe erwidert und für ihn Leben und Ehre auf Spiel gesetzt habe, nicht mehr sehen und ihre Gnade nicht vergelten könne.

D Narr und Kluger (171–270):

Der Sprecher kontrastiert die Lage des Klugen, der zwischen weltlichen und göttlichen Ansprüchen zerrieben wird und zudem unter der Liebe leidet, mit der Sorglosigkeit des Narren, den solche Lasten nicht berühren. Er selbst stehe zwischen beiden, erkenne aber, dass Narrheit ihn von seinem Liebesleid befreien könnte. Dennoch hindern ihn Hoffnung, sein Entschluss, der Dame ehrenvoll zu dienen, und die Einsicht, dass eine Abkehr von ihr ihm nur schadete, daran, den Verstand – und damit sein Leid – aufzugeben.

E Unauflösbarkeit des Dienstes (271–342):

Der Sprecher erkennt neidlos an, dass andere mit ihrer Treue mehr Glück haben oder den Verlust einer Liebe leichter verwinden können. Könnte er an seiner Dame nur einen Makel finden, fiele auch ihm die Trennung leicht – doch ihre Vollkommenheit lasse seinem Verstand keinen Ausweg. Daher erinnert er sie an ihre Pflicht gegenüber ihm als treuem Eigenmann: Trotz langer Trennung durch Huote und schlechte Ratgeber solle sie seine Liebe erwidern und seinen Schmerz – wenn auch in milderer Form – mittragen.

F Ehre und Schande (343–380):

Für die Weisen, die in Menschenherzen zu lesen vermögen, sei offenkundig, dass die Dame ihm zugleich Ehre und Schande bringe: Ehre durch die Zuneigung einer vollkommenen Frau, Schande durch seine seit der Huote eingetretene Sprach‑ und Handlungsunfähigkeit, die ihn am Ende wie einen Verrückten erscheinen lasse.

G Tod als Leidvertreib (381–406):

Was andere Glückliche fürchten, erfülle ihn mit Freude: Der unausweichliche Tod sei für ihn keine Drohung, sondern ein Trost, weil er ihn – spätestens in achtzig Jahren, vielleicht früher – von seinem Leiden befreien werde.

H Das kleinere Übel (407–450):

Er sieht keinen Ausweg und müsse daher das geringere Übel wählen: Treue samt Leid statt Untreue und leichter Unbeschwertheit, die zur Verdammnis führe. Außerdem brauche es zeitweiligen Kummer als Gegenpol, um Freude überhaupt wahrnehmen zu können – wie Blumen, deren Blüte erst nach dem Winter begehrenswert erscheint. Mit sicherer Aussicht auf Trost wäre solches Leid erträglich, doch gerade diese fehlt ihm.

I Unmöglichkeit des Verzichts (451–580):

Der Sprecher erteilt allen Leidensgefährten einen brüderlichen Rat: nicht nach dem Unerreichbaren zu streben. Ihm selbst sei das früher gelungen, nun aber sei er feige und machtlos – jeder Versuch, die Liebe aufzugeben, vergrößere nur den Schmerz. Die Weisen meinten zwar, ein Mann könne auf alles verzichten; er müsse daher wohl ein Frauenherz besitzen. Auch die Behauptung, man könne Liebe durch neue Liebe vergessen, nennt er eine „schneidende Lüge“: Er habe es versucht, doch selbst im Umgang mit anderen Damen habe ihn die Geliebte nicht losgelassen, ja er habe unwillkürlich ihren Namen ausgesprochen. Leere Schwüre und erzwungene Fröhlichkeit halfen nichts; stets fiel er in sein altes Leid zurück. In einer Allegorie kämpfen Freude und Schmerz in ihm – die Freude flieht, das Leid bleibt. Hebe Gott die üble Huote nicht auf und ermögliche ihm die Liebe zur Geliebten, werde er gewiss sterben.

J Allgemeine Weisheit und eigene Erfahrung (581–643):

Der Sprecher verweist auf einen Weisen, der im Vertrauen darauf, dass auf Leid Freude folgt, nie klage, und auf die gängige Meinung, jeder Schaden nütze am Ende doch. Er selbst kenne zwar seinen Schaden, warte aber vergeblich auf den Nutzen und fürchte, Gott halte ihn zu lange zurück – was solle ihm Minnefreude im Alter nützen, wenn beide einander dann nicht mehr entsprächen? Dem Weisen glaube er nur insofern, als nach Liebe Leid komme; das Gegenteil glaube er erst, wenn er es erfahre. So wenig wie an weiße Kohlen und schwarzen Schnee glaube er an solche Weisheit. Auch die Lehre, dass derjenige keinen Nachteil habe, der teilt und zuerst wählt, habe sich für ihn nicht bewährt: Er habe die Frauen in die Geliebte und alle anderen geteilt und das vermeintlich bessere Teil gewählt – zu seinem Unglück. Daran zeige sich, dass niemand Wirkung und Rechtmäßigkeit seines Handelns sicher beurteilen könne; alles hänge vom Glück ab.

K Trost und ›Untrost‹ (644–810):

Der Sprecher hält es für möglich, dass sich die zuvor kritisierten Weisheiten doch bewahrheiten – sofern die Dame ihm treu bleibt, die Trennung ebenso schmerzt und sie ernsthaft an seiner Liebe festhält. Die unsichere Hoffnung auf eine spätere Vereinigung prüft er, indem er Gründe gegen Untrost und für Trost ihre Treue abwägt:

  • 1.a Untrost: Seine Abwesenheit könnte ihre Beständigkeit schwächen.
  • 1.b Trost: Wahre Liebe vergehe nicht.
  • 2.a Untrost: Frauen seien wankelmütiger, daher müsse er Nebenbuhler fürchten.
  • 2.b Trost: Untreue schade ihrer Ehre, während Männer paradoxerweise durch Abenteuer Ansehen gewännen; zudem bleibe er selbst trotz vieler Begegnungen auf Reisen treu.
  • 3.a Untrost: Die traditionelle Werbung gefährde ihre Treue, da sie einem tapferen, redegewandten Werber standhalten müsse.
  • 3.b Trost: Ihre Klugheit werde sie zur Treue verpflichten, denn Unbeständigkeit bringe gesellschaftliche und göttliche Missachtung, Beständigkeit dagegen Ehre. Außerdem solle sie die Minne eines beständigen, wohlgestalteten und freundlichen Mannes nicht leichtfertig zurückweisen.

Der Sprecher schließt mit der Hoffnung, dass sie – wie er – auf eine lebenslange Gemeinschaft ziele.

L Botenauftrag und Adressierung (811–826):

Der Sprecher wendet sich direkt an sein kleinez Büechel und beauftragt es, der Dame in seiner Abwesenheit seine beständige Minne und Herzensnähe zu überbringen. Er versichert, dass eine Trennung niemals von ihm ausgehen würde, und endet mit einem Segenswunsch für ihre Gesundheit und Ehre sowie einem abschließenden Amen.

(Ausführliche Inhaltszusammenfassung bei Klingner, Jacob/Lieb, Ludger: Handbuch Minnereden, Band 1, S. 33-36)