Das Schneekind (Erzählstoff): Unterschied zwischen den Versionen
Zeile 64: | Zeile 64: | ||
Kain laster er gesat,<br />der untrü wider gat.<br />der ist ouch ain wiser man,<br />der stat wol gebiten kan.<br />ain man hett ain schön wib,<br />dú im waz lieb sam sin lib,<br />dez er hart türe swür.<br />do er sins koffez für<br />daz er bejagte gut,<br />als noch vil manger tut,<br />bi ainen andern man<br />si ain kint gewan.<br />wan wirtes frömdi schaden birt.<br />do daz vernam der wirt<br />do fragt er si der märe,<br />waer dez kindes vatter wäre.<br />si sprach: "hertzlieber man,<br />grossen jamer ich gewan.<br />mich begund nach dir belangen<br />und kam allain gangen<br />in unsern wurtzgarten,<br />da ich din wolt warten,<br />wann mir waz nach dir we.<br />do lag ein ungefüger sne,<br />dez lait ich in den munt.<br />do ward ich swanger ze stunt<br />von der bruenschlichen gir,<br />die ich hett do zu dir."<br />der man antwürt also:<br />"dez bin ich hertzlichen fro,<br />das got uns gab disen sun<br />gar lieplich züchte dün.<br />er wirt, wil got, ain werder man,<br />ist daz im got dez leben gan.<br />er ist mir innicklichen zart."<br />do daz kint ze knaben wart,<br />do sprach er dem wibe zu:<br />"hertz trüt, ez ist ze frü,<br />daz ich uz für disen knaben.<br />man musz in dest lieber haben,<br />gelernt er wol gebaren<br />von kintlichen jaren.<br />was man bi zit hebet an,<br />wol man daz gelernen kan.<br />hey, wol ain man wirt daz kint."<br />si sprach: "dü dich sin underwint<br />mit unverwenckten trüwen,<br />wan ich stirb von rüwen,<br />ob im geschaech arges icht."<br />sus nam er in sin phlicht<br />den schoenen sneknaben<br />und begund sich uz haben.<br />er swür vast dem wib<br />bi got und sinem lip,<br />er pflaeg sin, so er beste könd,<br />als er im libes günd.<br />wenn er vor nie gebarte,<br />daz er sin nit warte,<br />so wol könd er gebaren<br />und siner lün varen.<br />er bracht in in ain lant,<br />da waz der sitt so gewant,<br />daz man kint koft.<br />ez waz ain diet ungetoft.<br />da verkoft er daz kint<br />ze hant an underbint.<br />er do mit dem güt für.<br />der frowen er vil tür swür,<br />do er kam in egipte lant,<br />da zerflosz er in dem sant<br />von der sunnen hitz.<br />er sprach: "ez waz vnwitz,<br />daz ich nit gedacht e,<br />daz er smiltz alz der sne,<br />sid er waz von sne komen."<br />ir list mochte si nit frümen,<br />er wär ir wol verhert.<br />als si jm daz messer bot,<br />bisses halb gab er irs wider.<br />dez fiel ir alle fröd nider.<br />etlich belib stät,<br />der in noch also tät.<br />doch son wir hie bi mercken,<br />wer kan sin laster decken<br />und ouch sin hertzlait,<br />biß im sin stat wirt berait,<br />daz er mag wol erwenden<br />allenthalb an den enden,<br />der ist gar ain wiser man,<br />der lüg mit lüg gelten kan. | Kain laster er gesat,<br />der untrü wider gat.<br />der ist ouch ain wiser man,<br />der stat wol gebiten kan.<br />ain man hett ain schön wib,<br />dú im waz lieb sam sin lib,<br />dez er hart türe swür.<br />do er sins koffez für<br />daz er bejagte gut,<br />als noch vil manger tut,<br />bi ainen andern man<br />si ain kint gewan.<br />wan wirtes frömdi schaden birt.<br />do daz vernam der wirt<br />do fragt er si der märe,<br />waer dez kindes vatter wäre.<br />si sprach: "hertzlieber man,<br />grossen jamer ich gewan.<br />mich begund nach dir belangen<br />und kam allain gangen<br />in unsern wurtzgarten,<br />da ich din wolt warten,<br />wann mir waz nach dir we.<br />do lag ein ungefüger sne,<br />dez lait ich in den munt.<br />do ward ich swanger ze stunt<br />von der bruenschlichen gir,<br />die ich hett do zu dir."<br />der man antwürt also:<br />"dez bin ich hertzlichen fro,<br />das got uns gab disen sun<br />gar lieplich züchte dün.<br />er wirt, wil got, ain werder man,<br />ist daz im got dez leben gan.<br />er ist mir innicklichen zart."<br />do daz kint ze knaben wart,<br />do sprach er dem wibe zu:<br />"hertz trüt, ez ist ze frü,<br />daz ich uz für disen knaben.<br />man musz in dest lieber haben,<br />gelernt er wol gebaren<br />von kintlichen jaren.<br />was man bi zit hebet an,<br />wol man daz gelernen kan.<br />hey, wol ain man wirt daz kint."<br />si sprach: "dü dich sin underwint<br />mit unverwenckten trüwen,<br />wan ich stirb von rüwen,<br />ob im geschaech arges icht."<br />sus nam er in sin phlicht<br />den schoenen sneknaben<br />und begund sich uz haben.<br />er swür vast dem wib<br />bi got und sinem lip,<br />er pflaeg sin, so er beste könd,<br />als er im libes günd.<br />wenn er vor nie gebarte,<br />daz er sin nit warte,<br />so wol könd er gebaren<br />und siner lün varen.<br />er bracht in in ain lant,<br />da waz der sitt so gewant,<br />daz man kint koft.<br />ez waz ain diet ungetoft.<br />da verkoft er daz kint<br />ze hant an underbint.<br />er do mit dem güt für.<br />der frowen er vil tür swür,<br />do er kam in egipte lant,<br />da zerflosz er in dem sant<br />von der sunnen hitz.<br />er sprach: "ez waz vnwitz,<br />daz ich nit gedacht e,<br />daz er smiltz alz der sne,<br />sid er waz von sne komen."<br />ir list mochte si nit frümen,<br />er wär ir wol verhert.<br />als si jm daz messer bot,<br />bisses halb gab er irs wider.<br />dez fiel ir alle fröd nider.<br />etlich belib stät,<br />der in noch also tät.<br />doch son wir hie bi mercken,<br />wer kan sin laster decken<br />und ouch sin hertzlait,<br />biß im sin stat wirt berait,<br />daz er mag wol erwenden<br />allenthalb an den enden,<br />der ist gar ain wiser man,<br />der lüg mit lüg gelten kan. | ||
|style="vertical-align:top;"| | |style="vertical-align:top;"|Glacies Ißschmarr hieß das Kind. | ||
Glacies Ißschmarr hieß das Kind. | |||
Es was ein Kaufman zů Venedig, der fůr etwan uß und bleib ein Jar oder drü uß, als da man in die Heidenschafft fert. Und uff einmal was er so lang ußgewesen; da er widerumb kam, da fand er ein hübsch Kneblin in seinem Huß lauffen, das het ein weiß Härlin. Der Man sprach: ›Wes ist das Kneblin? Das ist doch warlich ein hübschs Kindlin.‹ Die Frau sprach: ›Hußwirt, es ist mein. Sol ich dir nit grose Ding sagen, wie es mir mit dem Kind ist ergangen? In dem Winter bin ich in den Garten gangen und hab an dich gedacht also mit groser Begird, das ich bei dir bin gewesen, und hab ein Yßschmarren von dem Dach da herabgenumen und hab in gessen, und ist das Kind daruß worden. Das zů einem Zeichen so heißt es Glacies Yßschmarren.‹ Der gůt Man schweig stil und wolt nit vil daruß machen; wan wen ein Man sein Eefrawen schent, so ist er vor geschent. Er gedacht auch: ›Werestu bei ir gewesen, so wer semlichs nit geschehen. Hastu anderßwa fremde Heffelin zerbrochen, so hat sie daheim Krüg zerbrochen.‹ Der Yßschmarren wůchs also uff und ward groß. | Es was ein Kaufman zů Venedig, der fůr etwan uß und bleib ein Jar oder drü uß, als da man in die Heidenschafft fert. Und uff einmal was er so lang ußgewesen; da er widerumb kam, da fand er ein hübsch Kneblin in seinem Huß lauffen, das het ein weiß Härlin. Der Man sprach: ›Wes ist das Kneblin? Das ist doch warlich ein hübschs Kindlin.‹ Die Frau sprach: ›Hußwirt, es ist mein. Sol ich dir nit grose Ding sagen, wie es mir mit dem Kind ist ergangen? In dem Winter bin ich in den Garten gangen und hab an dich gedacht also mit groser Begird, das ich bei dir bin gewesen, und hab ein Yßschmarren von dem Dach da herabgenumen und hab in gessen, und ist das Kind daruß worden. Das zů einem Zeichen so heißt es Glacies Yßschmarren.‹ Der gůt Man schweig stil und wolt nit vil daruß machen; wan wen ein Man sein Eefrawen schent, so ist er vor geschent. Er gedacht auch: ›Werestu bei ir gewesen, so wer semlichs nit geschehen. Hastu anderßwa fremde Heffelin zerbrochen, so hat sie daheim Krüg zerbrochen.‹ Der Yßschmarren wůchs also uff und ward groß. |
Version vom 5. August 2021, 12:00 Uhr
Das Schneekind; Modus Liebinc; Glacies Ißschmarr hieß das Kind (Erzählstoff) | |
---|---|
Regest | Ein Kaufmann wird bei seiner Rückkehr nach einer Reise von seiner Frau mit einem jungen Kind empfangen. Sie behauptet, dass das Kind entstanden sei, nachdem sie in Sehnsucht nach ihrem Mann Schnee im Garten gegessen habe. Der Mann lässt dem Kind eine gute Erziehung angedeihen, verkauft es bei einer weiteren Reise aber an Händler (an Heiden). Seiner Frau erklärt er, dass das „Schneekind“ im Sturm zu Wasser geworden sei (im Wüstensand unter der Sonne zerschmolzen sei). |
Fassungen | Das Schneekind A Das Schneekind B Schimpf und Ernst (Johannes Pauli), Nr. 208 |
Forschung (s.a. unter Fassungen) |
Schupp, Volker: Modus Liebinc |
Lateinische Version
Die deutschen Fassungen basieren auf einer seit dem 11. Jhd. belegten lateinischen Erzählung (Modus Liebinc).
Modus Liebinc:[1]
1a
Advertite,
omnes populi,
ridiculum
et audite, quomodo
Suevum mulier
et ipse illam
defraudaret.
1b
Constantiae
civis Suevulus
trans aequora
gazam portans navibus
domi coniugem
lascivam nimis
relinquebat.
2a
Vix remige
triste secat mare,
ecce subito
orta tempestate
furit pelagus,
certant flamina,
tolluntur fluctus,
post multaque exulem
vagum littore
longinquo notus
exponebat.
2b
Nec interim
domi vacat coniux;
mimi aderant,
iuvenes secuntur,
quos et immemor
viri exulis
excepit gaudens;
atque nocte proxima
pregnans filium
iniustum fudit
iusto die.
3a
Duobus
volutis annis
exul dictus
revertitur.
Occurrit
infida coniux
secum trahens
puerulum.
Datis osculis
maritus illi
"De quo", inquit, "puerum
istum habeas,
dic, aut extrema
patieris."
3b
At illa
maritum timens
dolos versat
in omnia.
ʺMiʺ, tandem,
ʺmi coniuxʺ, inquit
ʺuna vice
in Alpibus
nive sitiens
extinxi sitim.
Inde ergo gravida
istum puerum
damnoso foetu,
heu gignebam.ʺ
4a
Anni post haec quinque
transierunt aut plus,
et mercator vagus
instauravit remos;
ratem quassam reficit,
vela alligat
et nivis natum
duxit secum.
4b
Transfretato mari
producebat natum
et pro arrabone
mercatori tradens
centum libras accipit
atque vendito
infante dives
revertitur.
5a
Ingressusque domum
ad uxorem ait:
ʺConsolare, coniux,
consolare, cara:
natum tuum perdidi,
quem non ipsa tu
me magis quidem
dilexisti.
5b
Tempestate orta
nos ventosus furor
in vadosas sirtes
nimis fessos egit,
et nos omnes graviter
torret sol, at il‐
le nivis natus
liquescebat.ʺ
6
Sic perfidam
Suevus coniugem
deluserat;
sic fraus fraudem vicerat:
nam quem genuit
nix, recte hunc sol
liquefecit.
Synopse deutscher Versionen
Das Schneekind A (vor 1280)[2] | Das Schneekind B (Ende 14. Jhd.?)[3] | Schimpf und Ernst (Johannes Pauli), 208 (1522)[4] | Hans Sachs, ??? |
Des snêwes sun
Ez het ein koufman ein wip, |
Daz mer von ainem snepallen
Kain laster er gesat, |
Glacies Ißschmarr hieß das Kind.
Es was ein Kaufman zů Venedig, der fůr etwan uß und bleib ein Jar oder drü uß, als da man in die Heidenschafft fert. Und uff einmal was er so lang ußgewesen; da er widerumb kam, da fand er ein hübsch Kneblin in seinem Huß lauffen, das het ein weiß Härlin. Der Man sprach: ›Wes ist das Kneblin? Das ist doch warlich ein hübschs Kindlin.‹ Die Frau sprach: ›Hußwirt, es ist mein. Sol ich dir nit grose Ding sagen, wie es mir mit dem Kind ist ergangen? In dem Winter bin ich in den Garten gangen und hab an dich gedacht also mit groser Begird, das ich bei dir bin gewesen, und hab ein Yßschmarren von dem Dach da herabgenumen und hab in gessen, und ist das Kind daruß worden. Das zů einem Zeichen so heißt es Glacies Yßschmarren.‹ Der gůt Man schweig stil und wolt nit vil daruß machen; wan wen ein Man sein Eefrawen schent, so ist er vor geschent. Er gedacht auch: ›Werestu bei ir gewesen, so wer semlichs nit geschehen. Hastu anderßwa fremde Heffelin zerbrochen, so hat sie daheim Krüg zerbrochen.‹ Der Yßschmarren wůchs also uff und ward groß. Der Vatter sprach einmal zů seiner Frawen: ›Wie rietestu, wan ich unsern Glacies Yßschmarren einmal mit mir nem, das er auch etwas lert?‹ Die Frawe sprach: ›Du můst aber Sorg zů im haben.‹ Der Man fürt in mit im hinweg und verkaufft es uff dem Mer. Und nach langem, da er widerumb heimkam, da kam das Kind nit. Die Frau sprach: ›Ach, wa hastu den Yßschmarren hingethon, unser Kind?‹ Der Man sprach: ›Es ist mir seltzam mit dem Kind Yßschmarren ergangen. Es ist uff einen Tag über die Maß heiß gewesen, da wir uff dem Mer sein gefaren. Und ich hab im verbotten, das er nit barhaupt in dem Schiff solt sitzen, und es hat es nit gethon, und hat in die Sonn so heiß gestochen uff sein Haupt, das es zerschmoltzen ist und ist in das Mer geflossen. Und wie es von dem Wasser ist kumen, also ist es widerumb zů Wasser worden.‹ Also betriegen die Eelüt einander in der Ee. |
Text 3 |
Anspielungen
Anmerkungen
- ↑ Zitiert nach Strecker, Karl: Die Cambridger Lieder: Carmina Cantabrigiensia. Berlin 1926, Nr. 14, S. 41-44.
- ↑ Zitiert nach Grubmüller, Klaus (Hg.): Novellistik des Mittelalters, S. 82-93
- ↑ Zitiert nach Grubmüller, Klaus (Hg.): Novellistik des Mittelalters, S. 82-93
- ↑ Zitiert nach Bolte, Johannes (Hg:): Johannes Pauli: Schimpf und Ernst, Band 1, Nr. 208