Der unentschlossene Minner (B50)

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Der unentschlossene Minner (B50)

AutorIn Anon.
Entstehungszeit Überlieferung um 1425
Entstehungsort
AuftraggeberIn
Überlieferung Karlsruhe, Landesbibliothek: Hs. Donaueschingen 104, 101rb-103ra
Ausgaben
Übersetzungen
Forschung Klingner, Jacob: Der unentschlossene Minner; Klingner, Jacob/Lieb, Ludger: Handbuch Minnereden, S. 88-90

Inhalt

A Einleitung (1–15):

Der Sprecher berichtet vom exzeptionellen Leid seines Herzens und seines Körpers (über beide wird hier noch in der 3. Person gesprochen). Der Übergang zu B ist nicht markiert.

B Dialog zwischen Körper und Herz (16–252):

Der Körper (16–43) fordert das Herz auf, von seiner Beständigkeit abzulassen. Ein Esel sei der, der eine sehr schwere Last für einen geringen Lohn trage, der Weise nehme davon Abstand. Er, der Körper, sei ein Esel, weil er erkenne, dass ihm sein Tun zum Schaden gereiche, und weil er doch nicht damit aufhöre. Sein Verstand (26: mut) habe sich von der Hoffnung (26: wan) narren lassen, nun aber erkenne er, dass er auch in 100.000 Jahren keinen Trost erwerben werde. Es reut ihn, dass er seine Augen nicht früher habe ›laufen lassen‹, um anderswo Abhilfe für seinen Kummer zu suchen. Schuld sei das Herz gewesen. In einer Apostrophe bittet der Körper das Herz, von dieser Liebe abzulassen. Ansonsten würden sie beide sterben. Das Herz (44–70) stimmt dem Körper zu, dass aus der Beendigung des Dienstes Ruhe und Friede resultieren würden. Doch sei ihm das unmöglich. Die Dame habe ihm ein Joch aufgebunden, aus dem das Herz sich nicht mehr befreien könne. Auch es selbst leide sehr und sei zu schwach, um das Seil (der Minneverstrickung) zu kappen. Das hätte es noch gekonnt zu der Zeit, als es kräftig war. Der Körper (71–74) stellt klar, dass das Herz in Wahrheit noch nie mit dieser Liebe aufhören wollte. Das Herz (75–83) verteidigt sich und wirft dem Körper vor, dass seine Augen die Geliebte angeschaut und damit es, das Herz, verwundet hätten. Die Gegenwart der Geliebten habe es hier (deiktisch: hier im Herzen?) mit ihrer Schönheit besessen (81f.: Jr gegen wirt wa daz was | Hie mit jr schoni mich si besasz), sodass es nicht auf die Geliebte verzichten könne. Der Körper (84–124) bittet das Herz, nicht zu verzagen und Widerstand zu leisten. Es solle doch einfach an die Qualen denken, die er, der Körper, ertrage, weil ihm das Minneband alle Freuden nehme. Die Geliebte stelle außerdem immer wieder klar, dass sie in keinster Weise ein Zugeständnis machen wolle. Nach einem kurzen geblümten Lob der Geliebten (sie sei Blüte aller Freude, Paradies aller Lust, Krone der geblümten Wonne usw.) wundert sich der Körper, dass ihn die Mühsal so weit bringe, seinem Herzen Beständigkeit vorzuwerfen und Untreue zu empfehlen. Doch bevor er verdurste, trinke er eben lieber trübes Wasser. Von Kindesbeinen an habe er ihr zu Willen gelebt ohne Lohn und Dank und ohne je an den Durst zu denken, den er stillen müsse. Wenn das Herz sterben wolle, dann wäre es am einfachsten, gemeinsam in dieser Notlage zu verharren. Er jedenfalls könne das Ganze nicht länger ertragen. Das Herz (125–213) kontert mit einer Überbietung, es leide viel mehr als der Körper: Wenn er schlafe, wache es oft, von Kummer erhitzt; während er sich freue, hetze die Liebe es mit ungeliebten Hunden. Das Herz sehne sich nach der Zeit zurück, als der Mangel ihrer Liebe ein unsüßer Angelhaken für das Herz gewesen sei, den sie in den süßen Honig geworfen habe. Es vergleicht die Wirkung des Anblicks der Geliebten mit dem Seefeuer (152: marinen für; sog. ›griechisches Feuer‹), das – wie man wisse – nicht zu löschen sei. Das Herz zitiert (162–171) die Meister der Heiden, die die Unwiderstehlichkeit der Liebe bereits beschrieben hätten. Lieber würde das Herz auf das Seelenheil verzichten und 1000 Tode sterben, als von ihr zu lassen. Es wirft dem Körper seine Feigheit vor; wenn er der Geliebten die Not klagen solle, werde er nur rot vor Scham. Dabei wolle sie ihn doch nicht ermorden. Sentenz: Wer sich selbst nicht helfen will, verdirbt nicht schuldlos (192f.). Das Herz sagt, ob der Körper nun sterbe oder überlebe (199: Stirb genisz tu waz du wilt), es selbst bleibe der Geliebten treu. Das Herz hänge wie der Körper an gestückten sailen (212; geteilte oder aus Stücken zusammengesetzte Seile?) an ihr. Der Körper (214–252) verteidigt sich gegen den Vorwurf der Feigheit: Immer wenn er zur Geliebten sprechen wolle, zittre das Herz wie Laub in ihm, es hämmere (224: Du pungelst) und wolle aus ihm herausspringen. Aber selbst wenn er so mutig wäre, zu ihr zu sprechen, wolle sie ihm doch nicht zuhören. Wegen der Schmach, die er von ihr erleide, wolle er verzagen und jammervoll verderben. Weil er das Herz nicht zur Aufgabe der Liebe zwingen könne, gebe er sich nun dem Schicksal und der Tugendhaftigkeit anheim. Er sei bereit für Klage und Treue.

C Schluss (253–294):

Ohne Markierung folgt abschließend eine Ich-Rede, die sich am ehesten dem minnenden Sprecher zuordnen lässt. Jedenfalls lässt sich dieser Schluss als Ergebnis des inneren Dialogs zwischen seinem Herzen und seinem Körper auffassen: Der Sprecher beklagt sein exzeptionelles Leid, preist die Dame als Krone weiblicher ›Zucht‹ usw., versichert sie seiner Treue und findet Zuflucht bei der Gedankenminne (272: gedenck sint fry). Am Ende ruft er Frau Venus an, dass die Geliebte sich seiner erbarmen möge.

Klingner, Jacob/Lieb, Ludger: Handbuch Minnereden, S. 89f.