Liebesklage (B40)
Liebesklage (B40) | |
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AutorIn | Anon. |
Entstehungszeit | Überlieferung 1525 |
Entstehungsort | |
AuftraggeberIn | |
Überlieferung | Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum: Hs. Merkel 2° 966, 115r-116r |
Ausgaben | |
Übersetzungen | |
Forschung | Klingner, Jacob/Lieb, Ludger: Handbuch Minnereden, S. 67-69 |
Inhalt
A Ausgangssituation / Liebesklage (1–83):
Der Sprecher liegt nachts wach im Bett, in schmerzvollem Verlangen nach körperlicher Minneerfüllung. Er beklagt in einer Reihe von insistierenden Fragen die Gleichgültigkeit seiner geliebten Dame gegenüber seiner beständigen Liebe und fürchtet, dass sie seinen Dienst nie mit Zuneigung lohnen werde und ihn getilgt habe aus dem Buch der Liebe ihres Herzens. Bildreich schildert er seine Liebesqual (er würge an der Angel des Jammers; sein Herz liege auf der Minne Rost und ist verschmolzen und verbrannt). Er fragt sich, welche Schuld diese Nichtachtung rechtfertige.
B Erste Exempelreihe (84–315):
Der Sprecher parallelisiert seine Liebessehnsucht mit der literarischer Figuren, wobei er – unterbrochen von kürzeren Passagen, in denen er seine Verzweiflung entlang der oben exponierten Gefühle und Argumente ausführt – jeweils kurz aus den entsprechenden Werken referiert: Sigune, die sich nach Gardevias Brackenseil sehnt (Wolfram von Eschenbach / Albrecht, ›Titurel‹); Tristan, der sich nach Isolde sehnt, als er ihr den Hund Iapura (95; Petitcreiu?) schickt (Gottfried von Straßburg, ›Tristan‹) oder tödlich verwundet darniederliegt (Eilhart von Oberg, ›Tristrant‹ oder die ›Tristan‹-Fortsetzung); Anfortas, den bis zu Parzivals Ankunft niemand heilen kann; Parzival, den bei Anblick der Blutstropfen im Schnee das Verlangen nach Kondwiramurs besinnungslos macht (Wolfram von Eschenbach, ›Parzival‹); Wilhelm von Österreich, der sich bei seinem Ritt auf dem Walfisch und beim Sieg über König Walwan und andere nach Aglie sehnt (Johann von Würzburg, ›Wilhelm von Österreich‹); Raimund, der die verschwundene Melusine beklagt (Thüring von Ringoltingen, ›Melusine‹); Flore, der vor Leid fast stirbt, als er glaubt, Blanscheflur sei tot (Konrad Fleck, ›Flore und Blanscheflur‹); Lohengrin, der sich nach Elisa und seinen Kindern sehnt (›Lohengrin‹). Der Sprecher glaubt, vor unerfüllter Liebe zu sterben, so wie auch Kaedin die Liebe zu Kassie den Tod durch die Hand des sterbenden Nampotenis brachte (Ulrich von Türheim, ›Tristan‹-Fortsetzung); seine Sehnsucht sei größer als die Gaweins, als dieser erkannte, dass er ohne den Gürtel nie wieder den Weg zu Florie finden werde (Wirnt von Grafenberg, ›Wigalois‹) – umso schlimmer wiege, dass der Sprecher die vergötterte Dame (290: Auch waz si mein irerdischer gott), die ihn einst freundlich behandelte, zwar sehen könne, nun aber nichts als Ablehnung erfahre; er leide mehr als Wigalois bei seinen Abenteuern wegen Larie (Wirnt von Grafenberg, ›Wigalois‹).
C Lob der Geliebten (316–347):
Die Schönheit Lariens ist der Ausgangspunkt zu einer ausführlichen Schönheitsbeschreibung der alle anderen Frauen übertreffenden Geliebten (nach dem A capite ad calcem-Schema): Haare, Stirn, Augenbrauen, Augen, Nase, Mund, Wangen, Kinn, Grübchen, Hals, Zähne, Brüste, Arme, Hände, Finger, Beine, Füße.
D Liebesklage und zweite Exempelreihe (348–515):
Als Makel der Geliebten benennt der Sprecher daz si kain lieb nit kan erkennen (351), was ihn zu einem lebendigen todten (353) mache. Er führt ein von ihr gegebenes Treueversprechen an, das sie nun grundlos widerrufen habe (384f.: daz si mir hatt abgesaitt | selbs personlich mit irem mund). Seitdem leide er, innerlich noch in höchster Begierde brennend, und halte alle Anstrengungen für vergeblich. Es folgen drei literarische Beispiele betrogener Liebender: 1. Marke, der die in der Minnegrotte schlafende Isolde für unschuldig hält (Gottfried von Straßburg, ›Tristan‹), anschließend das Sprichwort: Mir gschicht als der vorm bern vischt (426; ›vor dem Netz fischen‹, d.h. etwas Unsinniges tun); 2. Crispin, die ihre Hofnung in die Liebe Wilhelms von Österreich enttäuscht sieht (Johann von Würzburg, ›Wilhelm von Österreich‹), mit einer Apostrophe (435f.: Ach edle künigin Crispin, | ich muß nun aber gedenckenn din); 3. Diocletian, dessen Frau Schätze veruntreut und ihn in den Tod führen will (Jonathas-Episode aus den ›Gesta Romanorum‹). E Schluss (515–564): Der Sprecher sieht sich durch ihr Gebot, sie zu meiden, seiner Liebesfreude wie des Liebesleids beraubt (Schachterminologie 516: Si spricht mir schauch vnd darzu matt). Er hofft aber auf einen neuen Mai und auf eine andere reizende Dame, deren Zuneigung ihn irgendwann einmal entschädigen werde. Sollte er noch einmal enttäuscht werden, wolle er auf ewig allein bleiben. Einerseits beklagt er, sein Herz in die treulosen Hände der Dame gegeben zu haben, andererseits will er die Frauen nicht allgemein schelten, da er noch auf die Eine hoffe, die seinen Dienst annimmt und würdigt.