Rose, Lilie und Feigenbaum (Erzählstoff)

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Rose, Lilie und Feigenbaum

(Erzählstoff)

Regest Der Feigenbaum fragt Rose und Lilie, warum sie Blüten aber keine Früchte tragen; sie verweisen auf ihre Jungfräulichkeit, in der es keinen Unterschied zwischen Blüte und Frucht gäbe. (Dicke, Gerd/Grubmüller, Klaus: Die Fabeln des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, S. 576)
Fassungen Buch der natürlichen Weisheit (Ulrich von Pottenstein), Nr. IV, 9
Buch von der Weisheit, Nr. IV, 9
Spiegel der wyßheit (Sebastian Münster), Nr. IV, 9, Bl. 81v-82r
Spiegel der natürlichen weyßhait (Daniel Holzmann), Nr. 93, Bl. 295v-298r
Forschung
(s.a. unter Fassungen)
Dicke, Gerd/Grubmüller, Klaus: Die Fabeln des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, S. 576; Günthart, Romy (Hg.): Sebastian Münster, Spiegel der wyßheit, Band 2, S. 134-137; Wagner, Silvan: Die komplexe Meditation einfacher Wahrheiten


Lateinische Version (Cyrillus, Nr. IV, 9), 1. Hälfte 14. Jhd.

Die deutsche Tradition baut auf einer lateinischen Quelle auf (Cyrillus, Nr. IV, 9 (Grässe, Johann Georg Theodor (Hg.): Die beiden ältesten lateinischen Fabelbücher des Mittelalters. Tübingen 1880, S. 115f.)).

Cyrillus: Speculum Sapientiae[1] Übersetzung[2]

Proverbium ad laudem virginitatis.

Rosa et lilium iuxta ficulneam sunt exortae. Quae cum expandissent floribunda folia nitore splendentia ac rorem suavitatis manantia aromaticique odoris fragrantiam effudissent, et illa floris orbata luce acerbum in fructum pariter pullulasset, lacte quidem invidentiae pruriens, commota mox invectivam proposuit dicens: "Post tam amoenissimam rutilantiam floridam ubi fructus vestri intenta genitura finaliter? Sanum est quippe florere sine fructu. Ligat enim natura sagax fructum in flore et ob ipsum tam vernantissimum germinat in florem." At illae mox radicem eloquii sentientes pacifica ratione dixerunt: "Bene scimus, quod propter pruritum generationis perdidisti gloriam floris et idcirco iam exspoliata es sie loquens; nempe fructum paris dulcissimum, sed tamen pateris in radice pruritum, quo florem amisisti, nobis autem ex plena puritate et suavitate substantiae flos ipse fructus est. Unde in nobis flos et fructus minime distinguitur, quoniam abundante nimis mellitae puritatis et odoriferae sublimitatis humore id ipsum factum est in nobis flos et fructus. Nonne vapor terrae purissimus totum floridum in aurum concrescit et ros dulcissimus caeli virginitate vernante margaritam congemmascit? Igitur rosa et lilium et flores fruetiferi et fructus floridi sunt. An nescivisti, quod virginitatis manantis puritate, aromate et suavitate virtus ipsa clarissimus flos est et fructus? Mirabile igitur germen virginitatis sine germine non est. Nunquam est fructus sine fructu, immo totus et ipse fructus est. Sic et sancta virginitas ipsum naturae et virtutis est germen pretiosissimum, flos amoenissimus et splendor clarissimus, fructus dulcissimus, decor praestantissimus, odor suavissimus, valor totus. Nimirum ipsa est naturae ac virtutis clarissima gemma, inviolata integritas, caelestina serenitas, summa temperantia, perfecta victoria spiritus super germen, gloria tota. Ut rosa igitur fragrans et lilium rutilans est sancta virginitas, flos et fructus, ad cuius quidem fragrantiam unicornis tractus suaviter currit, cuius dulcedine ferocitas mansuescit, cuius puritate eius tam valida delectata potestas quasi victa in nitido gremio virginali reverentialiter prostrata recumbit. O nimirum magnes nimiae validitatis virginitatis ad se trahens naturam! O saphirus mirabilis castitatis omnem fugans et destruens famam veneuosam! O smaragdus rutilans viriditatis, perpetua puritas, inviolatae integritatis amatrix, foetidam Veneris nullatenus patiens corruptelam!" Ad haec ficulnea stupefacta conticuit.

Ein Beispiel zum Lob der Jungfräulichkeit.

Eine Rose und eine Lilie wuchsen neben einem Feigenbaum. Diese hatten ihre Blütenblätter entfaltet, die glänzten und strahlten, über sie rann süßer Tau und sie hatten den Wohlgeruch eines aromatischen Duftes verströmt. Jener aber hatte ohne Blütenglanz zugleich eine unreife Frucht hervortreiben lassen und hielt aufgebracht bald darauf folgende Scheltrede, da er durch den Saft des Neides brannte: "Wo ist schließlich nach solche einem anmutigen Blütenglanz die erstrebte Nachkommenschaft eurer Frucht? Es ist freilich gescheit, ohne Frucht zu blühen. Es bindet nämlich die weise Natur die Frucht an die Blüte, und deswegen treibt sie eine so glänzende Blüte hervor." Aber da jene die Quelle der Rede bemerkten, sprachen sie in friedlicher Absicht: "Wir wissen gut, daß du wegen der Begierde nach Nachkommenschaft die Zierde deiner Blüte verloren hast und deshalb so sprichst, weil du von jetzt an ihrer beraubt bist; du bringst freilich eine sehr süße Frucht hervor, aber dennoch duldest du an der Wurzel die Begierde, wodurch du die Blüte verloren hast; aber aufgrund der vollen Reinheit und Süße unseres Wesens ist die Blüte selbst die Frucht. Daher unterscheidet man bei uns keineswegs Blüte und Frucht, weil bei uns durch den überreich vorhandenen Pflanzensaft von überaus süßer Reinheit und wohlriechender Vorzüglichkeit gerade das zu Blüte und Frucht geworden ist. Verdichtet nicht die reinste Wärme der Erde alles Glänzende zu Gold und läßt nicht der süßeste Tau des Himmels eine Perle in Jugendlichkeit und Jungfräulichkeit entstehen? Daher sind Rose und Lilie sowohl fruchttragende Blüten als auch blühende Früchte. Wußtest du nicht, daß gerade die Tugend der Jungfräulichkeit, die sich mit Reinheit, Wohlgeruch und Süße verbreitet, die edelste Blüte und zugleich Frucht ist? Daher gibt es keinen wunderbaren Sproß der Jungfräulichkeit ohne einen Keim. Niemals gibt es eine Frucht ohne Frucht, sondern im Gegenteil ist die Frucht selbst alles. So ist auch die heilige Jungfräulichkeit selbst der kostbarste Sproß, die anmutigste Blume, der hellste Glanz, die süßeste Frucht, die vorzüglichste Zierde, der lieblichste Duft und der ganze Wert der Natur und der Tugend. Zweifellos ist sie selbst der hellste Edelstein der Natur und der Tugend, unverletzbare Unschuld, himmlische Reinheit, höchste Selbstbeherrschung, vollkommener Sieg des Geistes über den Trieb, vollkommener Ruhm. Wie die duftende Rose und die rötlich schimmernde Lilie ist die heilige Jungfräulichkeit Blüte und Frucht, von deren Duft angezogen das Einhorn sanft herbeiläuft. Durch ihre Süße wird seine Wildheit bezähmt und durch ihre Reinheit legt sich ehrerbietig seine so starke Kraft voll Freude gleichsam besiegt in den glänzenden Schoß der Jungfrau. Oh Magnet von zweifellos außerordentlicher Stärke der Jungfräulichkeit, der du die Natur anziehst! Oh Saphir von wunderbarer Reinheit, der du das ganze giftige Gerede vertreibst und vernichtest! Oh Smaragd, der du von Jugendkraft glänzest, immerwährende Reinheit, Freundin unverletzbarer Unschuld, die du in keiner Weise die schädliche Verführung der Venus duldest!" Auf diese Worte hin verstummte betrübt der Feigenbaum.

Deutsche Versionen

Buch der natürlichen Weisheit (Ulrich von Pottenstein), Nr. IV, 9 (um 1408/16, nach Druck Augsburg, 1490) Spiegel der wyßheit (Sebastian Münster), Nr. IV, 9, Bl. 81v-82r Spiegel der natürlichen weyßhait (Daniel Holzmann), Nr. 93, Bl. 295v-298r

Den iunckfrauen zuo lobe·
Das ·ix· Capitel

Junckfrowschafft ist alles lobs wert/ das zeigt an dise fabel von der Rosen und Lilien. Cap. ix.

Junckfrawschafft ist alles lobs werdt. Von der Rosen und Lilien.
Die drey und nünczigst Fabel


[109vb] EIn Rosen und auch ein Gilgen dye wuochssen miteina(n)der bey einem feygenbaum· und do der selb feygenbaum ir schoengeferbte pletter die irer farbe gar lustige warend und suessen taw miltiklich außgusse(n) mit wolriechendem schmack in die weytte außpraitet· Nu(n) waren doch die rosen un(d) auch die gilgen die sellben zeit außwendiklich ires scheines und irer plue genczlich un(d) gar beraubt und gruonten beide(n)halben dannocht allein zuo iren summerfrüchten als sy die frau die frey natur kund maysteren und layten· Darnach ward der feyge(n)baum neydiklich erwegt und sprach in hohem muot d(er) Rosen und der gilgen zuo· Sagt mir des bit ich eüch wo seind eür su(m)mer früchtt/ wo sihet man eüer fruchtigs gepern nach so plueenreicher zeit des freüde(n)reiche(n) maien die sich bis her v(er)lauffen hatt wz mag so eitel und so gar vernichtet sein als so sich plue erzayget der doch kei(n) frucht nachvolget/ wa(n)n die natur aller weyßheit maisterin v(er)pindt mit fleyß die frucht in d(er) pluome(n)/ daru(m)be so wirt die mayenreich plue vil ee gesehen und gepüret· Und darnach erst dye frücht verstuonden [110ra] so gar schnaell das dye straff gefaerlich waz· Un(d) das auch sy entspra(n)g und wuochs auß nediger wurczen· Do sprachen sy züchtiklich/ wir wissen wol das du vo(n) deins geperens wegen das kiczlig an im selber ist die aller schoenesten pluomen der maegetlichen eren williklich verlorn hast un(d) seyt du der emploeßt bist so redestu auch wz du wilt nach ganczem deym willen/ damit du dein übetmuot[3] erzaigest· Auch wilttu nit erkennen das uns die pluom die frucht ist· Und dasselb fleüßset auß übertraeffelicher reinikeite und suessikeit d(er) weselichen listikeit/ wann unser wesen steett also das an uns beyden die pluomen die frucht un(d) die frücht der pluomer ist und seind dye beyde an in selbs ein ainigs wesen· darumb so ist kein underschayde d(er) frucht unnd auch der pluomen in uns wesenlich/ wa(n)n seyd die gancz feüchtikeit d(er) hoenigsuessen reinikeit und wolriechenden suesikeit überflüssige in uns seynd darumb so seind die beyde dye frucht und auch die pluom ein ainiges wesen· Und dasselb ding sage du uns ob du das wayßt wie der aller reynest und lauterest tunst der auß der erden dringet sich in die plue verschlechte/ und verwandlet· und darjnne(n) [110rb] wechßt· Und der sueß himeltaw das edel un(d) das scheinreich perlin das schoen in keüscheit leücht verporgenlich adelt· Daru(m)be so mügen wir wol sein die roß auch die gilge(n) gar fruchtig pluome(n) und pluome(n) der frucht· Od(er) haßt du nie gehoert das die tugendtt die unverhalte(n) ju(n)ckfraeulicheitt die allzeit rayn und schmackhafte ist die clarest frucht und pluome mitenand(er) ist hie niden auff d(er) erden und in de(m) hoechsten reich Auch wiß hie· Als wenig ei(n) fruchte on frucht mag sein als wenige mag d(er) saum der junckfraeulichen reinigkeit on samen sein/ wann junckfraeuliche reinigkeyt die ist die frucht auch d(er) saume d(er) tugent und d(er) natur die niema(n)t widerwegen mag· Si ist die hochgültest saum d(er) pringet fruchte die hundertfeltige ist· Sy istt die freüdenreichest pluom und d(er) allerklaerest schein so er in himel und auf erd mage gesehen werden· Sy ist die allersuessest fruchte und ein zier über all zier Sy ist der aller senfftes geschmache und ein riechen daz in den himel dringet· Sy ist ein krafft unnd ein vermügen daz sich den engelen geleichet· Der ding aller laß dych nymmer wundern seyd sy ist der teürest stain unnd der aller costlichost darzuo istt· In der [110va] Monstra(n)cz der tugent und der natur· Sy ist on alles verrucken gancz sy ist die hymlisch hayter· sy ist die höchst maessigkeyt/ sy ist der syg den niemant überwindet· sy ist der geist d(er) de(m) fleysche herrschet· sy ist die er/ sy istt die freüd· sy ist gelück· sy ist saellikeit und würd· Darumb istt junckfraeulicheit die aller saeligeste heilikeit/ seyt sy ist die pluom mitsampt der frucht als die gilge und rosen ist die des riechens kreftige seind und des scheynes reich. Dz riechen zeühet senftiklichen mit suessen kreften an sich dz stolcz und frej ainhirn wie wilde das an im selber ist das seyn hochtragender muot und scharpffer zoren gezaempt und gestillet wirt· O junckfraeliche reinigkeit wz mag sich dir geleychen Seyd das dz wild einhyrn das muotige ist und zorns vol unnd schnaell on all maß vonn deiner lautern reinikeit genoet un(d) zwu(n)gen wirt das es sich mit ga(n)czer gir in dein schoß beschleüßt· Un(d) darjnn nach seym lust rastet· O saphyr des teüren gelts d(er) wundersamen reinikeit d(er) ayter und das do gift ist wievil des ist zerbricht gewaltiklich· O gruengeferbter schmaragd d(er) immerwerenden reinikeit· Ein lyebhaber d(er) unverruckten keüscheyt d(er) nit [110vb] leiden mage der stinckenden unkeüsch schwaches werck· Darmit geschwaig der feigenbaum der sich der frucht der er gepare gar üppiklichen geruempt hette und ließ von seinem gloriern


By einem Fygenbaum sin uffgangen ein Roß und Lilig/ und han ire schynbare bletter wyt ußgespreyt/ dar von auch suesser taw mit anderem wolriechendem geschmack ußgeflossen ist. Do aber der fygenbaum beraubt ist gewesen der bletter/ un(d) doch ußgesprosselt het bittere frucht/ hat er uß mißgoennu(n)g also gesproche(n). Jr han ein groß schinbare bluost gehabt/ wo sind nuon üwer frücht? Jst es nit ein torheit/ blueen on frucht? Die kluge natur hefft die frucht in die bluomen/ und der frucht halb bricht sy uß in solich lustige bluomen.[4] Als die Roß und Lilg vermerckt han den grund diser red/ haben sy senfftmuetigliche gesproche(n). Wir wissen wol/ das du von hitziger begird wegen zuo der geburt hast verloren die ere der bluomen/ darumb redst du also. Du gebirst wol suesse frucht aber hast doch in der wurtzel stecken ein boese neyglicheit nach dem du die bluom verlore(n) hast. Aber wir uß gantzer reynigkeit und suessigkeit/ han die bluom für die frucht. [82r] Die bluom und frucht werde(n) in uns nit von einander gescheiden/ dan(n) uß honigsuesser reynigkeit und füchte wolriechender erhebung/ sin in uns die bluost und frucht ungeteylt worden. Jst im nit also/ der aller luterst dampff des ertrichs wechßt in bluende golt/ und der süß himmeltaw wechßt in edel gestein? Darumb sind rosen/ lilgen und bluomen bluende frücht. [5] Weystu nit das die klar bluom und frucht der iunckfrowschafft/ flüßt mit reynikeit un(d) geschmack suesser tugenden? Daru(m)b ist die iungfrowschafft nymmer on bluost und frucht/ ia sy ist selbst die frucht. Also sichstu ist die heilige iungfrowschafft ein edel bluost der natur und tugent/ ein anmuetige bluom un(d) klarer schyn/ ein suesse frucht un(d) hübsche gezierd/ ein suesser geschmack und aller ding wirdig. Ja iunckfrowschafft ist ein kostbarlich edelgestein der natur un(d) der tugent/ sy ist ein unzerstoert band und ein himlische heyterkeit/ sy ist die hoechste messigkeit/ die volkummend überwindung und seygung des geists über das fleisch. Darumb wie ein wolschmeckende Roß und schynbare Lilg also ist heilige iungfrowschafft bluost un(d) frucht. Zuo irem suessen geschmack wirt lieblich gezoge(n) das Einhorn/ un(d) legt von jm alle grimmigkeit/ ia gibt sich glych gefange(n) solich geweltigs thier in den iunckfrowlichen schoß/ den(n) es allein der reynigkeit halb also ersamliche begert und ruow in jm hat. Jst nit die iungfrowschafft ein krefftiger Magnet/ der zuo jm zücht die natur? Ist sy nit ein wunderbarer Saphir/ der do vertrybt alle gifftige gespenst? Ist sy nit ein schoen gruener glitze(n)der Smaragd/ der ein liebhaber ist der unzerstoerten küscheit/ Und nit dulden mag unstetige zerstoerung gebürlicher glider?

BEy ainem Feygenbaum sehr groß/ Wuochs auff ain Gilgen und ain Ros· Dise hond ire Bletter weyt/ Außgebraittet in sonderheyt· Davon ain suesser Schmack zumal/ Lieblich davon gieng überal· Als nun der Feygenbaum gemein/ Beraubet war der Bletter sein· Yedoch Er von jm geben hett/ Ain bittere frucht an der stett· Sprach Er an auß mißgunnung gar/ Die Gilgen und die Rosen klar· Vil Scheyn und Blue habt gehabt ir/ Wa seind Ewr Früchten zaigt die mir· Es ist ain Thorhait und Unzucht/ Vil Blue haben und doch kain Frucht· Die kluog Natur thuot hefften sich/ Jn die Frücht der Bluomen warlich· [296v] Hernach der Frucht halben Sy thuot/ Außbrechen in die Bluomen guot· Als die Gilg und die Roß den grund/[6] (Der Red) vermerkten zuo der stund· Hond Sy dem Feygenbaum die wort/ Gar saenfft verantwurt an dem ort· Und sprachen vorhin wissen wir/ Das die Bluo ist genommen dir·[7] Von wegen deiner Begird fast/ Die du zuo dem Frucht bringen hast· Darumb ist also die Red dein/ Du bringst wol guote Frucht so fein· Doch in deiner Wurczel allzeit/ Steckt ain boese Naiglistigkeit· Nach woellicher du hast verloren/ Die Edel Bluomen außerkoren· Wir aber hond mit rainer zucht/ Allzeyt die Bluomen für die Frucht· Die Bluom und die Frucht beede sander/ Werden bey uns nit von ainander· Geschaiden/ Sonder überal/ Beysamen gefunden zumal· Der aller beste Gschmack und Krafft/ Und Honig suesser rainer Safft· Die thuond bey uns behalten wir/ Jn Blue und Früchten für und für· Der aller beste dampff so klar/ Wechßt blueend in das Gold fürwar· [297r] Und des sueß Himelthaw so fein/ Wechßt in das klar Edel Gestain· Darumb Rosen und Gilgen zart/ Seind blueend Frücht und guoter art· Waist du nit das die klare frucht/[8] Der rainen Junckfraewlichen zucht· Fleüßt allezeyt in jrer Jugent/ Darumb die Junckfrawschafft all frist/ Nimmer on Blue und Früchten ist· Ja Sy ist selbst mit grossem fleyß/ Die Edel Frucht lieblicher weyß· Junckfrawschafft ist vil besser noch/ Dann Edel Gstain kostlich und hoch· Sy ist ain unzerstoerlichs bandt/ Ain himelische Gab genandt· Sy ist die hoechste Maessigkeit/ In allem Flaisch zuo aller zeit· Wie ain schmeckende Gilgen krafft/ Also ist auch die Junckfrawschafft· Zuo jrem suessen Gschmack erkoren/ Wirt dargezogen das Ainhoren· Wirt von jrem Geruch bewegt/[9] Das es sein Grimmigkait hinlegt· Ja gibt sich gefangen und bloß/ Der rainen Junckfraw in jr Schoß· Dann es ain sollichen lust hat/ Zuo der Rainigkait fruo und spat· [297v] Jst nit die Junckfrawschafft so klar/ Ain Magnet starck und krefftig gar· Der gegen jm zeücht für und für/ Jst Sy nit ain Edler Saphir· Der da vertreibet alle Gifft/ Und alle boese Gspenst vergifft· Ain glantzender Schmaragk allzeit/ Der liebt die unzerstoert Keüschheit· Und das unflaetig duldet nicht/ So die zarten Glider zerbricht·

Morale· AUß der Fabel wirt uns bekandt/ Wie das ain Junckfraewlicher staedt· Die hoechste Gab auff Erden sey/ Ain wonung aller Tugent frey· Wer Frawen oder Junckfraw schendt/ Der nimbt gwonlich ain boeses Endt· Als [Dina] Jacobs Tochter zart/[10] Von (Hemors) Sun geschendet wart· Umb dise that kamen zur Erdt/ All Sichemiten mit dem Schwerdt· Sextus bezwang Lucretiam/ Des Rom in grossen schaden kam· Seinen Vatter thet man verjagen/ Auch wurd Sextus darumb erschlagen· Ain Junckfraw hat nicht hoehers mehr/ Dann raine Junckfraewliche Ehr· [298r] Wer ain Junckfraw bezwingen thuot/ Der raubet jr das hoechste guot· Des man weder mit Guot noch Gelt· Mag wenden in der gantzen Welt· Doctor Freydanck spricht dise wort/ Diser darff wagen auch ain Mordt· Woelcher Fraw oder Junckfraw zwingt· Nach besserem Er auch nit ringt·

Miniaturen und gedruckte Bilder

Buch der natürlichen Weisheit (Ulrich von Pottenstein)

Spiegel der natürlichen weyßhait (Daniel Holzmann)

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Dornbusch und Feigenbaum (Erzählstoff)

Der Dornbusch rühmt sich vor dem Feigenbaum seiner frühen Blüte, der Feigenbaum aber weist auf seine Früchte hin, die besser seien als leere Blüten. (Dicke, Gerd/Grubmüller, Klaus: Die Fabeln des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, S. 81)

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Anmerkungen

  1. Zitiert nach Esser, Birgit/Blanke, Hans-Jürgen (Hg.): Speculum Sapientiae, S. 232.
  2. Zitiert nach Esser, Birgit/Blanke, Hans-Jürgen (Hg.): Speculum Sapientiae, S. 233.
  3. übermuot?
  4. Marginalglosse: Die unkuesche(n) verachten die jungfrowen.
  5. Marginalglosse: Junckfrowschafft ist ein edel frucht.
  6. Marginalglosse: Die Unkeüschen verachten die Junckfrawen.
  7. Marginalglosse: Der Feygenbau(m) bluoet nicht.
  8. Marginalglosse: Junckfraschafft ist ain edle frucht
  9. Marginalglosse: Man lißt/ dz des Ainhorn die ju(n)ckfrawschaft so lieb habe/ das es sein haubt in jr schoß legt/ on alle(n) schaden oder zoren
  10. Marginalglosse: Genesis 34·