Der Mann vom Galgen (Erzählstoff)

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Der Mann vom Galgen

(Erzählstoff)

Regest Einem Gehenkten wird ein Körperteil abgeschnitten und als Nahrung zubereitet. Der Erhängte erscheint und verlangt das Körperteil vom Dieb zurück.
Fassungen Der Mann vom Galgen (1856). In: Grimm, Jakob/Grimm, Wilhelm: Kinder- und Hausmärchen, 3. Aufl., Bd. 3 (Anmerkungsband), S. 267.
Forschung
(s.a. unter Fassungen)


Die gewürgte Bierwirtin

Do ein aberglaubisches unbedechtiges weib, uff einen tag fru morgens, hinaus zu dem gericht gangen, innwendig im galgen hinauffgestigen und einen dieb, welcher kurtz zuvorn war gehencket worden, verschneiden und diselbe materien ins bier hencken wollen, damit die leut desto mehr zulauffen und das bier sehr holen solten, hat Gott der Allmechtig solchs ihr furnehmen sichtiglich gestraffet, daß der todte corper mit den fussen ihr umb den halß gefallen und sie so fest gehalten hat, daß, wo nicht leut, die ettwa in der nähe geschnitten oder sonsten furuber gangen, sie schreien und winseln gehöret und ihr geholffen hetten, sie umb ihr leben kommen were. Die leut aber, so zugelauffen, haben des todten cörpers fuß mit grosser muh und arbeit voneinander bringen und die Frau ledig machen konnen. Welches dann furwitzigen, losen leuten (die noch heutigs tags bißweilen mit solchen bösen stucken umbgehen, den dieben ihre finger, daumen, zehen etc. abschneiden und in die fässer hengen) zur treuen warnung dienen soll.

Der Mann vom Galgen (Grimm: Kinder- und Hausmärchen, 1856)

Eine alte Frau bekommt spät Abends Gäste und hat nichts mehr von Speise über, weiß nicht, was sie ihnen kochen soll, geht zum Galgen, wo ein Todter hängt, schneidet ihm die Leber aus und brät sie den Fremden, welche sie aufessen.
Um Mitternacht klopfts an der Hütte, die Frau macht auf, es ist ein Todter mit kahlem Haupt, ohne Augen und mit einer Wunde im Leib.
„Wo sind deine Haare?“
„Die hat mir der Wind abgeweht.“
„Wo sind deine Augen?“
„Die haben mir die Raben ausgehackt.“
„Wo haste deine Leber?“
„Die hast du gefressen.“

Lumpl und Leber[1] (Das deutsche Volkslied, 1902)[2]

Es war einmal ein böser Mann, der musste immer Lumpl und Leber zum Nachtessen haben; wenn er vom Hause fortgieng, sagte er jedesmal zu seiner Frau: „Dass ih Lumpl und Leber zum Essen haͦb‘, waͦnn ih ham komm‘, sonst bring‘ ih di um!“ Die Frau sagte darauf: Jaͦ, jaͦ, du wirst schon᷉ ane haͦb’n, und hat es jedesmal verstanden, ihm die so dringend begehrte Speise zu verschaffen. Einmal hat sie aber überall nachgefragt und nirgends eine Leber und Lumpl auftreiben können; traurig ist sie nach Hause gegangen, denn sie hat gewußt, ihr Mann bringt sie wirklich um, wenn er nicht seine gewohnte Speise findet. Wie sie so hingeht, kommt sie beim Galgen vorbei, an welchen sie am selben Tage einen aufgehängt hatten. „Der hat auch eine Lumpl und Leber!“ denkt die Frau, „und wenn ich sie hätt‘, so möcht‘ ih nicht um‘braͦcht werden!“ Sie nimmt den Gehenkten herunter, schneidet ihm Lumpl [104] und Leber aus, trägt sie nach Hause und bereitet sie gut zu. Als der Mann abends kam, ließ er sich das Essen gut schmecken und lobte dasselbe als überaus gelungen.
Mann und Frau gingen schlafen. Als es aber Mitternacht geschlagen hatte, klopfte es an das Fenster und man sah einen Mann in der Finsternis stehen, der den Kopf auf die Brust hängen hatte. „Gib mir mein᷉ Lumpl und Leber!“ sagte er mit dumpfer Stimme zu dem Man im Zimmer, der zum Fenster gekommen war. „Ich hab‘ sie nicht“ erwiderte der. – „Gib mir mei‘ Lumpl und Leber!“ „Ich hab‘ sie nicht, sag‘ ich schon!“ (Mit holer Stimme gedehnt): „Gib mir mein᷉ Lumpl und Leber!“ „Ich hab sie nicht!“ – (plötzlich stark und heftig): „‚‚Du hast sie!‚‚“[3]

  1. Anmerkung: „Lumpl aus Lunpl, Lungel, Lunge.“
  2. Das deutsche Volkslied 4, Nr. 7 (1902), S. 103f. (online)
  3. Quellennachweis: „Erzählt von Karl Kronfuss, a. – 29./4. 1902. Die Geschichte vom „Lumpl und Leber“ ist auch belegt von Herrn Alfred Wolfram, a., der sie von seiner über 90 Jahre alten Großmutter, gebürtig aus Raabs in N.Ö. erzählen gehört hat, - von Herrn Rudolf Wolf, a., aus Guntramsdorf und von Herrn Anton Baumann, a., dessen Vater, aus Joachimsthal in Böhmen gebürtig, sie ihm erzählt hat.“