Den Jungen die Minne, den Alten der Wein (B238): Unterschied zwischen den Versionen
Keine Bearbeitungszusammenfassung |
|||
(4 dazwischenliegende Versionen desselben Benutzers werden nicht angezeigt) | |||
Zeile 17: | Zeile 17: | ||
{| class="wikitable" | {| class="wikitable" | ||
|- | |- | ||
| | |||
<br /><br /><br />5 | |||
<br /><br /><br /><br /><br />10 | |||
<br /><br /><br /><br /><br />15 | |||
<br /><br /><br /><br /><br />20 | |||
<br /><br /><br /><br /><br />25 | |||
<br /><br /><br /><br /><br />30 | |||
<br /><br /><br /><br /><br />35 | |||
<br /><br /><br /><br /><br />40 | |||
<br /><br /><br /><br /><br />45 | |||
<br /><br /><br /><br /><br />50 | |||
<br /><br /><br /><br /><br />55 | |||
<br /><br /><br /><br /><br />60 | |||
<br /><br /><br /><br /><br />65 | |||
<br /><br /><br /><br /><br />70 | |||
<br /><br /><br /><br /><br />75 | |||
<br /><br /><br /> | |||
|style="border-width: 1px 1px 5px 1px"| | |style="border-width: 1px 1px 5px 1px"| | ||
'' | ''Ains tages mich unmuot betzwang,<br /> | ||
''das ich mit senender sorge rang. <br /> | |||
''der wolt ich mich entladen han<br /> | |||
''und gieng auff einen grönen plan, <br /> | |||
''durch das ich würd sorgen fry<br /> | |||
''und das mir wonte freude py.<br /> | |||
''durch das so was ich chumen dar, <br /> | |||
''ich ward ain tail on sorgen bar. <br /> | |||
''ich vand den maien da mit chraft, <br /> | |||
''der mit fräud was sighaft<br /> | |||
''gar an dem winter worden. <br /> | |||
''die pluomen nach irem orden<br /> | |||
''die sach ich durch das gras uffdringen. <br /> | |||
''in süßer wisse frölich singen<br /> | |||
''hort ich die vogel jung und alt. <br /> | |||
''in chräften stuond der grüne walt<br /> | |||
''erfrischet mit der vogel gesanck. <br /> | |||
''die red die würd villicht zuo lanck, <br /> | |||
''der sei ain tail von mir verswigen. <br /> | |||
''doch han ich mich unverzigen, <br /> | |||
''ich sag euch, wie mir da beschach<br /> | |||
''und wie ich auff dem plane sach<br /> | |||
''das aller mineclichest wip, <br /> | |||
''das ich so zartten lieben leib<br /> | |||
''gesach py meinen tagen nie. <br /> | |||
''sü durch die pluomen gen mir gie, <br /> | |||
''die mineclich, die los. <br /> | |||
''recht als ain plüende roß<br /> | |||
''was ihres rotes mundes schein. <br /> | |||
''der selben frawen wengelin, <br /> | |||
''da si mir in die nahe cham<br /> | |||
''. . . . . . . . . . . . . nie vernam. <br /> | |||
''die min<e>clich die lacht und sprach: <br /> | |||
''“es ist als ain weg, was ie geschach<br /> | |||
''das frommet als den frawen nicht. <br /> | |||
''von wem in nun chain guot beschicht, <br /> | |||
''den hand si weder lieb noch zart. <br /> | |||
''den weiben nie unwerders wartt<br /> | |||
''dann ain alter voller tegen, <br /> | |||
''der nicht enkan der minne pflegen, <br /> | |||
''den hassent ietz die jungen wip. <br /> | |||
''und wiss, das si irn zartten leib<br /> | |||
''gen jungen mannen zieren, <br /> | |||
''die sich gen in floriern, <br /> | |||
''die gefallend in ausser maussen wol. <br /> | |||
''wer ainer gewessen Parcivall<br /> | |||
''an ritterlicher manhait, <br /> | |||
''er wurd in doch zuo jungste laid, <br /> | |||
''wenn er in das alter chompt<br /> | |||
''und zuo der minne nicht mehr frompt.“ <br /> | |||
''da sprach ich: „Fraw, so waiß ich wol, <br /> | |||
''das ich des nu engelten sol, <br /> | |||
''des ich selten ie genossen han, <br /> | |||
''wann ich euch ie was undertan<br /> | |||
''und han vil laides durch euch gedult.“ <br /> | |||
''si sprach: „churtz geret, ich pin den jungen hold. <br /> | |||
''des chan ich nicht gelaussen, <br /> | |||
''die alten sind verwassen. <br /> | |||
''das merck gar eben, pistu weiß, <br /> | |||
''tracht auff ain sanftu spiß<br /> | |||
''und lauß die werde minne sein! <br /> | |||
''lug, wie der clare wein<br /> | |||
''frisch von dem zappfen clingt<br /> | |||
''und auß den näpfen springt<br /> | |||
''recht als ain hirs tut auff der ha<id>!<br /> | |||
''das ist der alten manen fraid. <br /> | |||
''und lauß die jungen die minne pflegen, <br /> | |||
''und trinck du Sant Johanes segen<br /> | |||
''und Sant Gerdruten minn, <br /> | |||
''darauff so richt du deine sinn! <br /> | |||
''nicht paß ich dir gerauten chan, <br /> | |||
''wann junge wib und alte man, <br /> | |||
''das ist ain widerwärtikait.“ <br /> | |||
''ich sprach: „Ir hapt mir war gesät, <br /> | |||
''fraw Minn, das duncket mich.“ <br /> | |||
''von dannen schied ich trauriclich<br /> | |||
''und ließ die werden minne sein<br /> | |||
''und huob mich zuo dem claren win. | |||
|style="border-width: 1px 1px 5px 1px"| | |style="border-width: 1px 1px 5px 1px"| | ||
Eines Tages überwältigte es mich,<br /> | |||
dass ich so von Liebesleid verzehrt wurde.<br /> | |||
Von diesem wollte ich mich befreien<br /> | |||
und ging auf eine grüne Wiese,<br /> | |||
wodurch ich sorgenfrei werden wollte<br /> | |||
und wieder Freude empfinden wollte. <br /> | |||
Indem ich dorthin gekommen war, <br /> | |||
wurde ich einen Teil meiner Sorgen los. <br /> | |||
Dort fand ich den kraftstrotzenden Mai vor, <br /> | |||
der freudig den Winter<br /> | |||
vollständig überwunden hatte. <br /> | |||
Gemäß ihrer Natur sah ich die Blumen<br /> | |||
durch das Gras sprießen.<br /> | |||
Auf liebliche Weise fröhlich singen<br /> | |||
hörte ich Vögel, junge wie alte. <br /> | |||
Kraftvoll grünte der Wald, <br /> | |||
erneuert vom Gesang der Vögel. <br /> | |||
Dieses Gedicht könnte leicht zu lang ausfallen, <br /> | |||
ich will nicht alles beschreiben. <br /> | |||
Doch möchte ich nicht darauf verzichten, <br /> | |||
euch zu erzählen, wie es mir dort erging<br /> | |||
und wie ich auf der Wiese<br /> | |||
die lieblichste Frau sah, <br /> | |||
in Bezug auf deren zarten, herrlichen Körper<br /> | |||
ich in meinem ganzen Leben noch nichts Vergleichbares gesehen habe. <br /> | |||
Sie ging durch die Blumen auf mich zu, <br /> | |||
die Liebliche, die Anmutige. <br /> | |||
Wie eine blühende Rose<br /> | |||
war der Glanz ihres roten Mundes.<br /> | |||
Die Wangen dieser Dame, <br /> | |||
<die glühten>, als sie mir nahe kam, <br /> | |||
<wie ich es noch> nie erfahren hatte. <br /> | |||
Die Liebreizende lachte und sagte: <br /> | |||
„Es ist immer die alte Leier, <br /> | |||
nichts davon ist den Damen förderlich. <br /> | |||
Von wem ihnen nichts Gutes zukommt, <br /> | |||
dem sind sie weder lieb noch teuer. <br /> | |||
Den Frauen geschah niemals etwas Unwürdigeres<br /> | |||
als ein alter, vollgesoffener Held, <br /> | |||
der keinen mehr hochbekommt, <br /> | |||
den hassen jetzt die jungen Frauen. <br /> | |||
Sei dir dessen bewusst, dass sie ihren zarten Körper<br /> | |||
für junge Männer schmücken, <br /> | |||
die sich für sie aufputzen, <br /> | |||
die gefallen ihnen außerordentlich. <br /> | |||
Selbst, wenn einer Parzival gewesen wäre<br /> | |||
bezüglich seiner Männlichkeit, <br /> | |||
er würde ihnen schließlich doch überdrüssig,<br /> | |||
wenn er alt wird<br /> | |||
und zur Liebe nicht mehr taugt.“ <br /> | |||
Da sagte ich: „Herrin, ich weiß schon, <br /> | |||
dass ich nun den Preis zahle für das, <br /> | |||
was ich gleichwohl nie genossen habe, <br /> | |||
obwohl ich Euch stets untertänig war<br /> | |||
und vieles wegen Euch erduldet habe.“ <br /> | |||
Sie sagte: „Kurz gesagt: Ich mag die Jungen. <br /> | |||
Davon kann ich nicht abrücken, <br /> | |||
die Alten sind verblüht. <br /> | |||
Merke dir das, wenn du weise bist, <br /> | |||
begehre eine bekömmlichere Nahrung<br /> | |||
und lass die würdige Minne sein! <br /> | |||
Schau, wie der durchsichtige Wein<br /> | |||
frisch aus dem Spundloch plätschert<br /> | |||
und aus dem Glas schwappt<br /> | |||
genauso, wie ein Hirsch es auf der Heide tut! <br /> | |||
Das ist die Freude der alten Männer. <br /> | |||
Und lass die Jungen das Liebesspiel vollziehen, <br /> | |||
du aber trinke den Johannessegen<br /> | |||
und die Sankt Gertruds-Minne, <br /> | |||
trachte du darauf! <br /> | |||
Ich kann dir keinen besseren Rat geben,<br /> | |||
denn junge Frauen und alte Männer,<br /> | |||
das ist eine widerliche Kombination.“ <br /> | |||
Ich sagte: „Ihr habt mir die Wahrheit gesagt, <br /> | |||
Frau Minne, das denke ich.“ <br /> | |||
Traurig verabschiedete ich mich<br /> | |||
und ließ die würdige Minne zurück<br /> | |||
und machte mich auf zum durchsichtigen Wein. | |||
|- | |- | ||
|} | |} |
Aktuelle Version vom 13. September 2023, 20:19 Uhr
Den Jungen die Minne, den Alten der Wein (B238); Junge Frau und alter Mann | |
---|---|
AutorIn | Anon. |
Entstehungszeit | Überlieferung ab 1454 |
Entstehungsort | |
AuftraggeberIn | |
Überlieferung | München, Bayerische Staatsbibliothek: Cgm 270, 67r-68v München, Bayerische Staatsbibliothek: Cgm 379, 30r-31v Salzburg, Stiftsbibliothek St. Peter: b IV 3, 36r-37v |
Ausgaben | Leiderer, Rosmarie (Hg.): Zwölf Minnereden des Cgm 270, S. 66-68 |
Übersetzungen | |
Forschung | Klingner, Jacob: Den Jungen die Minne, den Alten der Wein; Klingner, Jacob/Lieb, Ludger: Handbuch Minnereden; S. 349f.; Uhl, Susanne: Der Erzählraum als Reflexionsraum, S. 151, 204, 227f., 233 |
Transkription
Der Text folgt der Ausgabe Leiderer, Rosmarie (Hg.): Zwölf Minnereden des Cgm 270, S. 66-68.
|
Ains tages mich unmuot betzwang, |
Eines Tages überwältigte es mich, |