Holznagel, Franz-Joseph: Gezähmte Fiktionalität

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Zitation

Holznagel, Franz-Joseph: Gezähmte Fiktionalität. Zur Poetik des Reimpaarbispels. In: González, Emilio/Mittel, Victor [Hg.]: Die Kleinepik des Strickers. Texte, Gattungstraditionen und Interpretationsprobleme. Berlin 2006, S. 47-78

Zusammenfassung

Inhalt

  • In der Forschung steht die Gattung Bîspel in Frage (trotz der prominenten Stellung des Strickers), was an ihrer definitorischen Unschärfe liegt. (47)
  • Mit dem Ziel eines repräsentativen Textcorpus' sollen Gattungsmerkmale bestimmt werden, die didaktische Dimension aufgezeigt werden und weitere Binnendifferenzierungen der Bîspel vorgenommen werden. (48)

Was ist ein Reimpaarbîspel? Die Bestimmung der Außengrenzen

  • Gattungstypische Merkmale: (49-52)
    • Stichische Form (im Unterschied zu Prosaerzählungen)
    • Kleinerer bis mittlerer Umfang (ca. 8-500 Verse) (im Unterschied zu Großepik)
    • Konstitutive Verbindung von Erzählteil und Auslegungsteil (im Unterschied zu Gleichnisreden; zu Mären)
    • Analogisierung von Grund- und Vergleichssphäre und Generalisierung des Kasus' (im Unterschied zu Mären)
    • Relative Selbständigkeit (im Unterschied zu Großepik mit bîspelartig organisierten Binneneinheiten)
    • Auslegung durch einen heterodiegetischen Erzähler
  • Die (bislang problematische) Abgrenzung von Bîspel und Märe kann über den Aspekt der Generalisierung durch einen Auslegungsteil vollzogen werden:
    • Ein Märe kann generalisieren, indem der spezifische Fall der Erzählung eine allgemeine Gültigkeit beansprucht. (50)
    • Ein Bîspel zwingt den Rezipienten darüber hinaus zur Übertragung von Phänomenen der Grundsphäre (Erzählteil) auf Phänomene der Vergleichssphäre (Auslegungsteil). (51)
    • Wenn ein intradiegetischer Erzähler die Geschichte auslegt, liegt in der Regel ein Märe vor. (52)
  • Das so definierte Bîspel entsteht "nach anfänglichem Zögern" um 1230 mit den Stücken des Strickers (eine erste Sammlung von Bîspeln liegt mit dem Cod. Vindob. 2705 von 1260-1280 vor). Die Tradition bricht im 15. Jahrhundert ab. (54)

Die Reimpaarbîspel als didaktische Darstellungsform: Einige einführende Bemerkungen

  • Reimpaarbîspel besitzen einen ästhetischen Mehrwert, weil durch die Makrostruktur den Rezipienten dazu auffordert, semantische Merkmale von der Grundsphäre auf die Vergleichssphäre zu übertragen.(54f.)
  • Der semantische Transfer weist Ähnlichkeiten mit den Semiosen auf, die beim Verstehen von Metaphern vorausgesetzt werden, da die Uneigentlichkeit der Redeweise ein komplexes Wechselspiel zwischen Term und Kontext bewirkt. (55)
  • Die semantische Umcodierung von Grundsphäre auf Vergleichssphäre ist niemals eindeutig, da jeder Rezipient neue und individuelle Kohärenzen aufbaut. (56)
  • Die semantische Kohärenzbildung ist aber auch nicht beliebig, da die semantische Kohärenzbildung durch textinterne, semantische Umgebung gesteuert wird. (56)
  • Die Imaginationskraft des Rezipienten wird im Reimpaarbîspel genutzt, um eine Gesamtaussage des Textes zu ermöglichen. (57)
  • Im Paarreimbîspel wird erzählt, um zu belehren. (57)
  • Das Belehren wird durch die Imaginatioskraft des Rezipienten, der das filtive Geschehen analogisiert und generalisiert, realisiert. (57)
  • Für die Umcodierung müssen Reimpaarbîspel folgende Merkmale besitzen: (57f.)
    • durch relative Kürze, übersichtliche Ordnung und auffällige Vorgänge im Erzählteil wird Memorierbarkeit erleichtert
    • Reimpaarbîspel müssen den Verlauf von Bekannten zum weniger Bekannten wird an das Vorwissen des Rezipienten angeknüpft
    • der Gedankengang steigt in die Werteordnung auf

Möglichkeiten der Binnendifferenzierung

Matthias Tvaruzek: Teil 1-3.1 (S. 58-66) Alex Wendt: Teil 3.2-4 (S. 66-71)

Behandelte Kleinepik