Ammon, Frieder/Waltenberger, Michael: Wimmeln und Wuchern

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Zitation

Ammon, Frieder/Waltenberger, Michael: Wimmeln und Wuchern. Pluralisierungs-Phänomene in Johannes Paulis Schimpf und Ernst und Valentin Schumanns Nachtbüchlein. In: Müller, Jan-Dirk u.a. (Hg.): Pluralisierungen. Konzepte zur Erfassung der Frühen Neuzeit. Berlin 2010, S. 1-30

Beschreibung

Aufsatz zum Verhältnis von Ordnungskriterien und Pluralisierungs-Phänomenen in Schimpf und Ernst (Johannes Pauli) und Nachtbüchlein (Valentin Schumann).

Inhalt

  • In der Vorrede von Schimpf und Ernst übt Pauli religiöse Kritik am unübersehbaren Anwachsen der Buchproduktion, stellt anschließend aber selbst eine auf Totalität ausgerichtete Erzählsammlung zusammen, womit er eigentlich selbst an frühneuzeitlichen Pluralisierungs-Prozessen partizipiert. (274)
  • Diese Spannung soll in Blick auf die Struktur der Texte und der Relation von Text und Paratext untersucht werden. (274f.)
  • Wimmelnde Texte: Schimpf und Ernst (1522)
    • Schimpf und Ernst ist gattungstypologisch und literaturgeschichtlich ein Schwellentext, in dem das ganze Spektrum narrativer Kurzformen vertreten ist. (276)
    • Das oppositionelle Begriffspaar ‚schimpf‘ und ‚ernst‘ umschreibt einerseits den Zusammenhang von prodesse und delectare, andererseits gibt es „eine Leitdifferenz vor, an der die Darstellung des Wissens über ‚der welt handlung‘ ausgerichtet ist. (278)
    • Der Titelrahmen, der verschiedene Heiligenfiguren präsentiert, wurde auch für Paulis Ausgabe des Evangelienbuchs mit den Predigten Johannes Geiler von Kaysersberg übernommen, was für den Rezipienten auch den Anspruch repräsentiert, dass es sich um ein autoritatives Werk handelt. (278f.)
    • Kategoriale Ordnung wird durch Paratexte hergestellt: Zuordnung zu den Kategorien Schimpf und Ernst, Abschnittstitel, Einzeltext-Titel, durchgehende Nummerierung. (279)
    • Im Unterschied zu mittelalterlichen Exempelsammlungen ist dabei nicht ein Ordnungssystem kohärent dominant, sondern es wechseln sich unterschiedliche mitunter inkompatible Ordnungsmuster ab. (279f.) „Was dabei entsteht, ist eben eine unabgestimmte und – wenn überhaupt – nurmehr individuell zu ordnende Pluralität des erzählten Wissens.“ (281)
    • „Der Erzählsinn stimmt also keineswegs mit dem paratextuell exponierten Ordnungsraster zusammen; er unterminiert, konterkariert und destruiert es stellenweise sogar.“ (283)
    • „Spätere Herausgeber und Fortsetzer haben auf die in Schimpf und Ernst zutage tretenden Pluralisierungs-Phänomene reagiert, indem sie entweder versuchten, diese zu neutralisieren, oder indem sie sie besonders akzentuiert haben.“ (284)
  • Wuchernde Texte: Nachtbüchlein (1559)
    • Die Heterogenität der Texte wird paratextuell unterstrichen, es herrscht „demonstrative auktoriale Willkür bei der Zusammenstellung der Texte“. (287f.)
    • “Der Leser wird [...] paratextuell auf ein sowohl produktions- wie rezeptionsseitig ‚eigenmächtiges‘ Zusammenstellen heterogener Texte konditioniert, das vorderhand auf keine diskursive Ordnung abzubilden ist und unter diesem Aspekt auch grundsätzlich unabgeschlossen und fortsetzbar erscheint“. (289)
    • Durch zahlreiche Korrelationen zwischen den gereihten Texten entsteht ein semantisches Geflecht. (290)
    • Das Wuchern der Erzählungen des Nachtbüchleins wird unter dem Motiv des kontingenten Glückswechsels gestellt, wobei sich diese Rahmung auch in den autobiographischen Verweisen Schumanns wiederfindet. (291f.)
    • “Im Nachtbüchlein [...] gewinnt zugleich mit der Pluralität der Texte die autorisierende Kategorie eines nicht mehr jederzeit durch eine ‚objektive‘ Ordnung determinierten, partikularen Erfahrungswissens an textueller Kontur und an diskursivem Gewicht.“ (295)