Fink und Nachtigall

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Fink und Nachtigall

AutorIn
Entstehungszeit 13. Jhd. (vgl. Pfeiffer, Franz (Hg.): Mittelhochdeutsche Bispel herausgegeben von Franz Pfeiffer, S. 2)
Entstehungsort
AuftraggeberIn
Überlieferung Wien ÖNB: Cod. 2705, 164ab [1]
München, UB: 2° Cod. ms. 731, 79b [2]
Ausgaben Pfeiffer, Franz: Altdeutsche Beispiele, S. 329-331
Pfeiffer, Franz (Hg.): Mittelhochdeutsche Bispel herausgegeben von Franz Pfeiffer, S. 13-15
Übersetzungen
Forschung Blumenfeldt, Albert: Die echten Tier- und Pflanzenfabeln des Strickers, S. 37; Mihm, Arend: Überlieferung und Verbreitung der Märendichtung im Spätmittelalter, S. 94; Ziegeler, Hans-Joachim: Erzählen im Spätmittelalter, S. 99 A. 8, 129, 131, 152, 155 u. A. 111, 184, 200, 204 A. 206, 470

Die Überlieferung ist von Pfeiffer, Franz (Hg.): Mittelhochdeutsche Bispel herausgegeben von Franz Pfeiffer übernommen. Neufunde fehlen ggf.

Inhalt

Narratio

Eine schöne Frau beobachtet zwei Vögel, die sich in einer Linde so streiten, dass beide herunterfallen. Der eine ist ein Fink, der andere eine Nachtigall. Die Frau fängt beide. Sie kennt die Vorzüge der beiden Vögel nicht und wird deswegen Kummer erleiden, Der Fink kommt ihr so schön vor, dass sie ihn an ihren Busen verwahrt, die Nachtigall lässt sie fliegen. Diese singt voll Freude ihre schöne Melodie. Die Dame verliert ihre Fröhlichkeit und beklagt, dass sie den Finken überhaupt gefangen habe. Aus Kummer lässt sie auch ihn fliegen und verwünscht nun Reichtum ohne Jugend und alle Schönheit ohne Tugend.

Epimythion

So sind die Frauen; wenn sie Schönheit mit Reichtum verbunden sehen, sind sie fröhlich. Dabei sollten sie bei jedem Mann auf die Schönheit der Jugend, auf Charakter und Tugenden achten. Auch wenn er keine guten Kleider trägt, ist er doch reich an Gemüt und genauso liebenswert wie der in Zobel, aber ohne Charakter. - Der Fink bezeichnet den reichen Mann; der trägt gute Kleider und schenkt den Frauen so viel, dass sie ihn dorthin legen, wohin er es will, an den Busen, oder noch näher. Wenn mich nicht alles täuscht, bekommen sie dafür von ihm aber keine Liebe, die aus dem Herzen kommt. - Die Nachtigall bezeichnet mit ihren vielfältigen Vorzügen einen klugen jungen Mann, der sich in seinen Taten und seinem Benehmen als gut und tadellos erweist; damit sollte er sich die Gnade seiner Herrin verdienen. Solche Sorgen hat der Reiche nicht, er gibt ihr nur Gut und Geld; der junge Mann dagegen widmet ihr seinen Dienst und seine Beständigkeit. - Eine wahre Dame sollte niemals wegen der guten Kleidung den Falschen lieben. Wenn die Frauen dieser meiner Lehre folgen, erwerben sie sich Ansehen und Ehre.

Ziegeler, Hans-Joachim: Erzählen im Spätmittelalter, S. 470