Minneklage (B30b)

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Minneklage (B30b)

AutorIn Anon.
Entstehungszeit Überlieferung 3. Viertel 15. Jhd.
Entstehungsort
AuftraggeberIn
Überlieferung Weimar, Herzogin Anna Amalia-Bibliothek: Cod. Quart 564, 109v-116v
Ausgaben
Übersetzungen
Forschung Klingner, Jacob/Lieb, Ludger: Handbuch Minnereden, Band 1, S. 51-54

Inhalt

A Minnelehre (Str. 1–9):

Der Sprecher stellt viele allgemeine Betrachtungen über die Minne an und flicht dann seine eigene Minnewerbung ein. Str. 1 [B30a, 670]: Eine schöne Frau sei einem Engel zu vergleichen, wenn sie keusch, züchtig und gutaussehend sei (keusch, zucht, bey glantzer varbe). – Str. 2: Die Minne könne einem wohltun und einen verwunden. Daher gebe ein Mann sich ganz in die Gewalt der Minne; sie könne ihm das Leid mit Liebe ›stillen‹. – Str. 3: In Herz und Geist (muot) von liebenswerten Damen, die mit Tugenden geblümt seien, verberge sich die Minne – das offenbare sich an den spielenden lachenden Augen: Hier könne man Minne schauen. – Str. 4: Sie, die Schönste unter allen Damen, anzusehen erfreute den Sprecher stets; außer dass diese kurze Freude ihm immer langes Trauern brachte. – Str. 5: Man sehe die Damen gerne an und solle ihnen dabei Gutes gönnen. Tausend Augen beobachten sie, deshalb müssen sie sich umso mehr (vor allem Makel) bewahren. – Str. 6 [B30a, 622]: Der Sprecher wünscht sich, dass die Damen die Liebe versagten oder gewährten, aber nicht, dass sie die falschen Werber zum Reden kommen ließen. Eine Frau habe schon halb zugesagt, wenn sie die Rede des Betrügers nur anhöre: Sie äffe ihn (zwar), mache sich (dabei aber) selbst zum Toren. – Str. 7 [B30a, 625]: So wie dem Blinden Tag und Licht und dem Toren, der nichts von Gold versteht, das Gold nichts nütze, so nütze auch dem Schwächling (zagen)eine schöne Frau nichts. – Str. 8 [B30a, 626]: Wenn ein Mann eine Frau begehre, um ihr die Ehre zu ›schwächen‹, nenne man das falsche Liebe. – Str. 9: Der Sprecher gibt die beste Lehre für den Dienst an Frauen: Gut über Frauen reden und ihre Ehre behüten. Die Frauen wiederum sollen den Männern nicht zu viel Dienst abverlangen und nur den guten Freunden, nicht den schlechten lohnen.

B Minneklage (Str. 10–24):

Str. 10: Der Sprecher klagt, dass er nicht das Glück habe, Liebe und Lohn zu bekommen. Früher habe er es gehabt, doch jetzt liebe er nur die Eine, die ihn nicht wolle und sich nicht um ihn kümmere. – Str. 11: Weil nichts unter dem Himmel allein bleiben solle, sondern durch Lust, Gefallen und Minne zusammenkomme, hofft der Sprecher, dass die Minne ihm helfe, dass die Geliebte ihn auch liebe. – Str. 12: Schaden oder Freude könne ihm das Herz bringen. Zwar leide er, doch sehne er sich nach (auch körperlicher) Liebesvereinigung. – Str. 13: Bis zu seinem Ende sehne sich alles in ihm nach ihrer Schönheit; genannt werden: Wangen, Hals, Hände, Haare und Kinn. – Str. 14: Niemand lege ihm das schlecht aus. Oft habe ein Sehnsuchtskranker mehr Begierde als ein Gesunder. – Str. 15 [B30a, 657]: Alle sprechen öffentlich von dem Wunder ihrer Schönheit. Ob es eine schönere gebe, wisse er nicht; er wisse aber, dass sie die Beste sei. – Str. 16: Der Sprecher wünscht ihr immer das Beste (?). Wenn er Lust dazu habe, nenne er sie (ihren Namen?), damit sie ihm das Nennen ehre. – Str. 17: Es könnte ihm das Herz brechen, dass er sie nicht grüßen, nicht ansprechen, nicht anlachen und nicht ansehen dürfe. So denke er an sie und wünsche sich, wozu er Lust habe, denn Wünschen mache ihn sorgenfrei. – Str. 18 [B30a, 656]: Lange habe er überlegt, ob er sich eine Geliebte wünschen und wie schön sie sein solle. Nun habe er eine gefunden, die seinen Wünschen vollkommen entspreche. – Str. 19 [B30a, 658]: Wem ein Lachen oder ein Anblick von ihr zuteil werde, der sei gesegnet. – Str. 20 [B30a, 662]: Wenn sie ihn zum Toren mache, gehe sein Leid ihr irgendwann zu Herzen. Mit Gesang (!) bringe er das Leid in ihre Ohren. Sie solle ihn erhören und ihn sonst ihren Toren sein lassen. – Str. 21: Wenn ihm mehr nicht zuteil werde, wolle er ihr trotzdem weiter dienen. Einen kleinen Lohn (Ein armes lon) könnte er wohl erwerben, aber er nützte ihm nichts. – Str. 22: Dagegen erfreue ihn große Hoffnung (Ein reicher wan). Denn ein kleiner Lohn könne ihm leicht von jemandem ins Gegenteil verkehrt werden. – Str. 23: Seine Hoffnung verjünge ihn. Die anderen sprächen, seine Dame habe so viel Güte, dass er sich freuen solle. – Str. 24: Manchmal rege sich ein Zweifel, dass er niemals ans Ziel komme. Davon breche sein Herz, und deshalb winde er seine Hände. Dann aber komme ihm ein Trost und spreche, was geschaffen sei, müsse geschehen (?).

C Freuden der Liebe (Str. 25–33):

Str. 25 [B30a, 664]: Wen die Frauen nicht fröhlich machten, den könne nichts erfreuen, auch nicht die Rosen des Mais. – Str. 26 [B30a, 665]: Der ohne Huote bei der Geliebten liege und dem alles nach seinem Willen ergehe (Tageliedsituation), dem gehe es sehr gut. Doch am Morgen tue das Scheiden ihm weh. – Str. 27 [B30a, 678]: Wenn schon das Lachen aus dem Mund der Dame einen so froh mache, wie könne man dann bei Sinnen bleiben, wenn sich der Mund einem zum Kusse anbietet? – Str. 28 [B30a, 679]: Und wenn einem schon beim Gedanken an eine Umarmung so wohl sei, welche Freude müsse man erst bei einer realen Umarmung haben. Es wundere ihn, dass man daran nicht vor Freude sterbe. – Str. 29 [B30a, 681] Ob seine Dame ihn erhöre, sei ungewiss. Er habe sein ›freies Leben‹ ihr zu eigen gegeben, wofür sie ihm Trauern und Sorgen gegeben habe. – Str. 30: Was helfe besser gegen Kummer als die Güte reiner Frauen, die Gott zur Freude der Männer erschaffen habe? Es gebe keine schönere Augenweide als eine ehrenvolle Frau. – Str. 31 [B30a, 687]: Jeden Morgen seien ihr roter Mund und ihre Güte sein Segen. Er wünsche ihr, dass Gott ihre Ehre behüte und dass die Dame seine Treue belohne. – Str. 32: Ein Mann solle um den Lohn der hohen Minne werben, denn er könne daran nicht zugrunde gehen: Wenn die eine seinen Dienst nicht belohne, brauche er nicht zu zögern, … – Str. 33: … dass eine andere ihn zu allen guten Dingen veredle (tewret). So brauche niemand im Dienst an den Damen zu scheitern. Wenn jemand bereit sei, treu zu dienen, würde dieser sich schämen, Böses zu tun. D Die Liebe des Sprechers (Str. 34–40): Str. 34: Der Sprecher wünscht sich, dass die Geliebte ihm ins Herz schaue, denn dann könnte sie sehen, dass er sie am liebsten habe von allen und keine andere begehre, … – Str. 35: … deren Treue einem Heiden nutzen möge. Der Sprecher beklagt erneut sein Leiden an der unabwendbaren Liebe: Seinem Herzen grause es, wenn jemand vom Scheiden spreche. – Str. 36: Mehr als hundert Frauen kenne er, die schöner seien als seine Geliebte. Nach denen verlange es ihn aber nicht. Welch ein Wunder, dass er (trotzdem) die für ihn Schönste habe (ich han die schonsten mir zu allen weyben). – Str. 37: Gäbe es etwas Besseres als die Beständigkeit gegenüber Frauen, würde er es beständig tun. Man sage, was man wolle: Mit Beständigkeit erwirbt man beständige Frauen. – Str. 38 [B30a, 616]: Liebe und Leid habe er beide von einer Frau. Die Liebe verschaffe ihm süße Augenweide und Freude; wie ein Dieb stehle dagegen das Leid die Freude. – Str. 39 [B30a, 643]: Wenn er stürbe, so hätte ihn wenigstens eine schöne Frau getötet und er müsste sein Sterben nicht bereuen. Er könne aber nicht glauben, dass bei so großer Schönheit keine Güte zu finden sei. – Str. 40 [B30a, 684]: Die Schöne hat Macht über all seine Stimmungen; aber sie hat nicht die Gewalt, dass er von ihr scheide.

E Frau als summum bonum, Wirkungen der Liebe (Str. 41–49):

Str. 41 [B30a, 667]: Eine Frau sei das Beste auf Erden. Der Sprecher sagt, er sei von einer lieblichen Frau mit einem Ding gefangen, das man Minne nenne. – Str. 42 [B30a, 668]: Wirkungen der Frauen auf die Männer: Veredelung, Ritterschaft, Freude. – Str. 43 [B30a, 669]: Die Frau sei das summum bonum auf Erden. Hätte er die eine, wäre er so froh, dass er in Freuden sterben wollte. – Str. 44 [B30a, 671]: Gott habe die Frau vor aller Kreatur ausgezeichnet und geadelt, denn er machte sie aus der Rippe des Mannes; den Mann dagegen aus Lehm. – Str. 45 [B30a, 663]: Die Liebe verschaffe einen angenehmen Kummer; sie sei eine Seligkeit. Ohne Minne einer Frau könne kein Herz froh werden. – Str. 46 [B30a, 647]: Der Sprecher klagt über sein minnebedingtes Verstummen und ›Verdummen‹, als er mehrfach bei ihr gesessen sei. – Str. 47 [B30a, 648]: Aber das sei nichts Besonderes, es geschehe noch heute. Wie ein Zunder werde sein Herz von ihr entzündet. Wenn er ihren Namen höre, werde er rot. Das sollten sich die merken, die wissen wollen, wer die Schöne sei. – Str. 48 [nur V. 1 = B30a, 617, V. 1]: Oft müsse er seufzen wegen der Stricke des Jammers. Im Schlaf (Traum) trete sie in ihrer ganzen Schönheit unverborgen vor ihn. Wenn er erwache, habe er von neuem Sorgen. – Str. 49 [B30a, nur Mü2 Str. 3]: Wenn schon ein liebliches Blicken das Herz bestricken und die Seele verwunden könne, dann wundere es ihn, wie Herz und Seele bei dem bleibe, der sich am bloßen Anblick der Geliebten erfreuen solle. F Treueversprechen und Wünsche (Str. 50–55): Str. 50 [B30a, 682]: Er wolle sich von der Geliebten trennen und wolle nicht länger ertragen, dass sie ihn auf den Stuhl des Jammers setze. Doch was helfe es, wenn er seine Augen abwende und das Herz immer noch heimlich zu ihr blicke? – Str. 51 [B30a, 683]: So leicht könne er sich doch nicht von einer so schönen Frau abwenden. Dazu müsste sie ihm noch mehr Gewalt antun. Er lobt die Sinne, die ihm rieten, niemals von ihr zu scheiden. – Str. 52 [B30a, 686]: Der Sprecher wünscht der Dame, dass die ganze Natur (die Lust des Mais, das Tönen der Vögel, der Tau aus dem Himmel usw.) ihr die Seligkeit ›hoher‹ Freuden gebe. – Str. 53 [B30a, 680]: Niemand könne vollständig aussprechen oder vollständig schreiben, wieviel Freude an den Frauen liege (Unschreibbarkeitstopos). Erst wenn die Liebenden beieinander lägen, erkennten sie, wie fremd sie einander zuvor noch gewesen seien. – Str. 54: Minnegefangenschaft; wenn er gelegentlich seine Augen von ihr löse und andere schöne Frauen ansehe und die Lust ihn mit Phantasie dorthin weise (Vnd ob mich lust dar weyset mit gedancken), so befehle ihm doch sein Inneres wieder, ohne Wanken an seinem Dienst festzuhalten. – Str. 55 [B30a, 654]: Er hofft, dorthin zu kommen, wo ihm die Röte ihres Mundes und die Nacktheit ihres Armes in einer ›süßen Handlung‹ mit Liebe zuteil werde.

(Klingner, Jacob/Lieb, Ludger: Handbuch Minnereden, Band 1, S. 51-54)