Das Schneekind (Erzählstoff)

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Das Schneekind; Modus Liebinc; Glacies Ißschmarr hieß das Kind

(Erzählstoff)

Regest Ein Kaufmann wird bei seiner Rückkehr nach einer Reise von seiner Frau mit einem jungen Kind empfangen. Sie behauptet, dass das Kind entstanden sei, nachdem sie in Sehnsucht nach ihrem Mann Schnee im Garten gegessen habe. Der Mann lässt dem Kind eine gute Erziehung angedeihen, verkauft es bei einer weiteren Reise aber an Händler (an Heiden). Seiner Frau erklärt er, dass das „Schneekind“ im Sturm zu Wasser geworden sei (im Wüstensand unter der Sonne zerschmolzen sei).
Fassungen Das Schneekind A
Das Schneekind B
Schimpf und Ernst (Johannes Pauli), Nr. 208
Der eyszapf (Hans Sachs
Esopus (Burkhard Waldis), 2. Teil, 4. Buch, Nr. 71
Von dem Laster dess Ehebruchs (Caspar Brunmüller), 17b
Proverbiorum Copia (Eucharius Eyring), 3. Teil, S. 484-487
Forschung
(s.a. unter Fassungen)
Schupp, Volker: Modus Liebinc



Lateinische Version

Die deutschen Fassungen basieren auf einer seit dem 11. Jhd. belegten lateinischen Erzählung (Modus Liebinc).

Modus Liebinc:[1]

1a

Advertite,
omnes populi,
ridiculum
et audite, quomodo
Suevum mulier
et ipse illam
defraudaret.

1b

Constantiae
civis Suevulus
trans aequora
gazam portans navibus
domi coniugem
lascivam nimis
relinquebat.

2a

Vix remige
triste secat mare,
ecce subito
orta tempestate
furit pelagus,
certant flamina,
tolluntur fluctus,
post multaque exulem
vagum littore
longinquo notus
exponebat.

2b

Nec interim
domi vacat coniux;
mimi aderant,
iuvenes secuntur,
quos et immemor
viri exulis
excepit gaudens;
atque nocte proxima
pregnans filium
iniustum fudit
iusto die.

3a

Duobus
volutis annis
exul dictus
revertitur.
Occurrit
infida coniux
secum trahens
puerulum.
Datis osculis
maritus illi
"De quo", inquit, "puerum
istum habeas,
dic, aut extrema
patieris."

3b

At illa
maritum timens
dolos versat
in omnia.
ʺMiʺ, tandem,
ʺmi coniuxʺ, inquit
ʺuna vice
in Alpibus
nive sitiens
extinxi sitim.
Inde ergo gravida
istum puerum
damnoso foetu,
heu gignebam.ʺ

4a

Anni post haec quinque
transierunt aut plus,
et mercator vagus
instauravit remos;
ratem quassam reficit,
vela alligat
et nivis natum
duxit secum.

4b

Transfretato mari
producebat natum
et pro arrabone
mercatori tradens
centum libras accipit
atque vendito
infante dives
revertitur.

5a

Ingressusque domum
ad uxorem ait:
ʺConsolare, coniux,
consolare, cara:
natum tuum perdidi,
quem non ipsa tu
me magis quidem
dilexisti.

5b

Tempestate orta
nos ventosus furor
in vadosas sirtes
nimis fessos egit,
et nos omnes graviter
torret sol, at il‐
le nivis natus
liquescebat.ʺ

6

Sic perfidam
Suevus coniugem
deluserat;
sic fraus fraudem vicerat:
nam quem genuit
nix, recte hunc sol
liquefecit.

Synopse deutscher Versionen

Das Schneekind A (vor 1280)[2] Das Schneekind B (Ende 14. Jhd.?)[3] Schimpf und Ernst (Johannes Pauli), 208 (1522)[4] Der eyszapf (Hans Sachs) (1536)[5] Esopus (Burkhard Waldis), 2. Teil, 4. Buch, Nr. 71 (1548)[6] Von dem Laster dess Ehebruchs (Caspar Brunmüller), 17b (1560) Proverbiorum Copia (Eucharius Eyring), 3. Teil, S. 484-487 (1604)
Des snêwes sun

Ez het ein koufman ein wip,
diu was im liep als der lip.
es waer ir liep, des jah ouch sie,
iedoch gewan ir herze nie
die warheit darinne:
daz waren valsche minne.
ez geschach bi einen ziten,
niht langer wold er biten,
von sinem hus fuor er
mit koufe durch gewinnes ger.
er huop sich uf dez meres fluot,
als noch manic koufman tuot.
do kom er in ein fremedez lant,
da er guoten kouf inne vant.
er beleip durh gewinne
driu jar darinne,
daz er nie wider heime quam,
unz daz vierde jar ende nam.
sin wip in minneclichen enphienc,
ein kindelin mit samt ir gienc.
do vragt er der maere,
wes daz kint waere.
si sprach: "herre, mich geluste din,
do gie ich in min gertelin.
des snewes warf ich in den munt,
do wurden mir din minne kunt,
do gewan ich ditze kindelin.
ze minen triuwen, ez ist din."
"ja maht du vil wol war han,
wir suln ez ziehen", sprach der man.
er braht si des niht inne,
daz er valscher minne
an ir was worden gewar
unz dar nah wol über zehen jar.
er lert daz kint under stunden
mit haebechen unt mit hunden,
mit schachzabel unt mit vederspil
maniger hant freude vil,
mit zuhte sprechen unt swigen,
herpfen, rotten unt gigen
unt allerhande saitenspil
unt ander kurzewile vil.
nu hiez er aber die knehte
diu schef bereiten rehte
mit spise nah dem alten site.
des snewes sun fuort er mite.
er huop sich uf daz wilde mer,
die unde sluogen in entwer.
sie sluogen in in ein schoene lant,
da er einen richen koufman vant.
der vragt in sa der maere,
wa sin koufschatz waere.
des snewes sun wart dafür gestalt,
mit drinhundert marken er in galt:
daz was ein grozer rihtuom.
ouch het er des vil grozen ruom,
daz er daran niht was betrogen,
daz er daz gouchelin het gezogen,
der schatz braht im in sinen gwalt,
daz im zwir als vil galt.
nu beleip er niht langer da,
mit fröuden fuor er heim sa.
sin husvrowe gegen im gienc,
trurecliche si in enphienc.
su vragt in: "wa ist daz kint?"
er sprach: "mich sluoc der wint
beidiu hin unt her
uf dem wilden mer entwer.
do wart daz kint naz al da
unt wart ze wazzer iesa,
wan ich het von dir vernomen,
daz er von snewe waer bekomen.
ist aber daz war, daz ich hoere sagen,
sone darft du in nimmer geklagen.
dehein wazzer vlieze so sere,
ez hab die widerkere
innerthalbe jares frist
ze dem urspringe dannan ez komen ist.
so solt ouch du gelouben mir,
ez fliuzet schiere wider zu dir."
sus het er widernullet,
daz er was betrullet.
swelh man sich des bedenket,
ob in sin wip bekrenket,
daz er den schranc wider stürzet
unt mit listen liste lürzet:
daz ist ein michel wisheit,
wan diu wip habent mit karcheit
vil manigen man überkomen,
als ir e dicke habt vernomen.

Daz mer von ainem snepallen

Kain laster er gesat,
der untrü wider gat.
der ist ouch ain wiser man,
der stat wol gebiten kan.
ain man hett ain schön wib,
dú im waz lieb sam sin lib,
dez er hart türe swür.
do er sins koffez für
daz er bejagte gut,
als noch vil manger tut,
bi ainen andern man
si ain kint gewan.
wan wirtes frömdi schaden birt.
do daz vernam der wirt
do fragt er si der märe,
waer dez kindes vatter wäre.
si sprach: "hertzlieber man,
grossen jamer ich gewan.
mich begund nach dir belangen
und kam allain gangen
in unsern wurtzgarten,
da ich din wolt warten,
wann mir waz nach dir we.
do lag ein ungefüger sne,
dez lait ich in den munt.
do ward ich swanger ze stunt
von der bruenschlichen gir,
die ich hett do zu dir."
der man antwürt also:
"dez bin ich hertzlichen fro,
das got uns gab disen sun
gar lieplich züchte dün.
er wirt, wil got, ain werder man,
ist daz im got dez leben gan.
er ist mir innicklichen zart."
do daz kint ze knaben wart,
do sprach er dem wibe zu:
"hertz trüt, ez ist ze frü,
daz ich uz für disen knaben.
man musz in dest lieber haben,
gelernt er wol gebaren
von kintlichen jaren.
was man bi zit hebet an,
wol man daz gelernen kan.
hey, wol ain man wirt daz kint."
si sprach: "dü dich sin underwint
mit unverwenckten trüwen,
wan ich stirb von rüwen,
ob im geschaech arges icht."
sus nam er in sin phlicht
den schoenen sneknaben
und begund sich uz haben.
er swür vast dem wib
bi got und sinem lip,
er pflaeg sin, so er beste könd,
als er im libes günd.
wenn er vor nie gebarte,
daz er sin nit warte,
so wol könd er gebaren
und siner lün varen.
er bracht in in ain lant,
da waz der sitt so gewant,
daz man kint koft.
ez waz ain diet ungetoft.
da verkoft er daz kint
ze hant an underbint.
er do mit dem güt für.
der frowen er vil tür swür,
do er kam in egipte lant,
da zerflosz er in dem sant
von der sunnen hitz.
er sprach: "ez waz vnwitz,
daz ich nit gedacht e,
daz er smiltz alz der sne,
sid er waz von sne komen."
ir list mochte si nit frümen,
er wär ir wol verhert.
als si jm daz messer bot,
bisses halb gab er irs wider.
dez fiel ir alle fröd nider.
etlich belib stät,
der in noch also tät.
doch son wir hie bi mercken,
wer kan sin laster decken
und ouch sin hertzlait,
biß im sin stat wirt berait,
daz er mag wol erwenden
allenthalb an den enden,
der ist gar ain wiser man,
der lüg mit lüg gelten kan.

Glacies Ißschmarr hieß das Kind.

Es was ein Kaufman zů Venedig, der fůr etwan uß und bleib ein Jar oder drü uß, als da man in die Heidenschafft fert. Und uff einmal was er so lang ußgewesen; da er widerumb kam, da fand er ein hübsch Kneblin in seinem Huß lauffen, das het ein weiß Härlin. Der Man sprach: ›Wes ist das Kneblin? Das ist doch warlich ein hübschs Kindlin.‹ Die Frau sprach: ›Hußwirt, es ist mein. Sol ich dir nit grose Ding sagen, wie es mir mit dem Kind ist ergangen? In dem Winter bin ich in den Garten gangen und hab an dich gedacht also mit groser Begird, das ich bei dir bin gewesen, und hab ein Yßschmarren von dem Dach da herabgenumen und hab in gessen, und ist das Kind daruß worden. Das zů einem Zeichen so heißt es Glacies Yßschmarren.‹ Der gůt Man schweig stil und wolt nit vil daruß machen; wan wen ein Man sein Eefrawen schent, so ist er vor geschent. Er gedacht auch: ›Werestu bei ir gewesen, so wer semlichs nit geschehen. Hastu anderßwa fremde Heffelin zerbrochen, so hat sie daheim Krüg zerbrochen.‹ Der Yßschmarren wůchs also uff und ward groß. Der Vatter sprach einmal zů seiner Frawen: ›Wie rietestu, wan ich unsern Glacies Yßschmarren einmal mit mir nem, das er auch etwas lert?‹ Die Frawe sprach: ›Du můst aber Sorg zů im haben.‹ Der Man fürt in mit im hinweg und verkaufft es uff dem Mer. Und nach langem, da er widerumb heimkam, da kam das Kind nit. Die Frau sprach: ›Ach, wa hastu den Yßschmarren hingethon, unser Kind?‹ Der Man sprach: ›Es ist mir seltzam mit dem Kind Yßschmarren ergangen. Es ist uff einen Tag über die Maß heiß gewesen, da wir uff dem Mer sein gefaren. Und ich hab im verbotten, das er nit barhaupt in dem Schiff solt sitzen, und es hat es nit gethon, und hat in die Sonn so heiß gestochen uff sein Haupt, das es zerschmoltzen ist und ist in das Mer geflossen. Und wie es von dem Wasser ist kumen, also ist es widerumb zů Wasser worden.‹ Also betriegen die Eelüt einander in der Ee.

Der eyszapf Von einem Kauffman vnd seinem Weibe Wer ehe koempt / der mahlt ehe

Anspielungen

Anmerkungen