Die Treueprobe (Ruprecht von Würzburg)
Inhalt
Promythion
Der Dichter bittet um Nachsicht für seine geringen poetischen Fähigkeiten.
Narratio
In Verdun leben zwei befreundete Kaufleute, Gilot und Gillam, die ihre Kinder Irmengart und Bertram miteinander vermählen. Nach zehnjähriger glücklicher Ehe reist Bertram eines Tages zum Jahrmarkt nach Provins. In seiner Herberge dort nimmt er an einem Gespräch teil, bei dem jeder der anwesenden Kaufleute über seine Frau herzieht, nur Bertram lobt die seine überschwenglich. Da veranlaßt ihn der Wirt Hogier, mit ihm eine Wette um ihre ganze Habe abzuschließen, daß er binnen eines halben Jahres Irmengart verführen könne. Bertram bleibt unter einem Vorwand in Provins, Hogier begibt sich nach Verdun. Er sendet Irmengart kostbare Geschenke, er besticht das Gesinde, doch alles ist vergeblich. Schließlich läßt er ihr durch ihre Magd Amelin Geld anbieten: hundert Mark, zweihundert Mark, tausend Mark. Die Magd und ebenso alle Verwandten, die sie befragt, sogar der Schwiegervater Gillam raten, diese hohe Summe im Interesse des Gatten nicht auszuschlagen. Dieser Rat stürzt sie in Trauer und Verzweiflung, doch Gott zeigt ihr einen Ausweg. Gegen eine Belohnung von hundert Mark heißt sie Amelin mit ihr Kleider und Rolle tauschen, und Hogier verbringt die Nacht mit der Magd statt mit der Herrin, ohne den Trug zu merken. Am Morgen schneidet er Amelin einen Finger ab als „Andenken“ und kehrt dann triumphierend nach Provins zurück. Zusammen mit dem bestürzten Bertram reist er nach Verdun, wo der Ausgang der Wette im Rahmen eines Festes öffentlich entschieden werden soll. Irmengart bemerkt die Niedergeschlagenheit ihres Mannes und erfragt den Grund. Da enthüllt sie ihm die wahren Zusammenhänge. Nach dem Festbankett erzählt Hogier allen Anwesenden von seiner Wette mit Bertram und zeigt zum Beweis seines Sieges den abgeschnittenen Finger. Dagegen weist Irmengart ihre unversehrten Hände vor, und Hogier muß erkennen, daß er einem Trug anheimgefallen ist und Wette und Besitz verloren hat. Als Trost bekommt er Amelin samt ihren hundert Mark.
Epimythion
Die Geschichte lehrt, daß man seine Begierden im Zaum halten soll. Ruprecht von Würzburg hat sie gedichtet. Gott und Maria mögen uns vor den Verlockungen der Welt und vor der Hölle bewahren.
(Fischer, Hanns: Studien zur deutschen Märendichtung, S. 511f.)