Bachorski, Hans-Jürgen: Ehe und Trieb, Gewalt und Besitz
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Zitation
Bachorski, Hans-Jürgen: Ehe und Trieb, Gewalt und Besitz. Diskursinterferenzen in Mären und Schwänken. In: Danielle Buschinger/Wolfgang Spiewok (Hg.): Der Hahnrei im Mittelalter. Greifswald 1994, S. 1-23
Beschreibung
Diskursanalytische Untersuchung von Ehebruchsschwänken.
Inhalt
- Ein Wort und seine Bedeutung
- Das Wort „Hahnrei“ entsteht im 15. Jahrhundert mit der konkreten Bedeutung „verschnittener Hahn“ und der übertragenen Bedeutung „gehörnter Ehemann“, wobei Hörnen auf die Praxis verweist, dem kastrierten Hahn die Sporen abzuschneiden und durch den Kamm zu stechen. (2)
- Vorstellung „Hahnrei“: „Der Ehemann, dessen Frau neben der Ehe eine andere sexuelle Beziehung hat, besitzt ein schmerzliches Defizit, und dieses Defizit ist darüber hinaus auch noch überaus deutlich sichtbar.“ (4)
- Ziel der Untersuchung: „Ich möchte hier (...) dem Defizit nachspüren, das ihnen (den Hahnreien) nachgesagt wird. Dabei geht es zunächst darum festzustellen, ob eine Defizienz des Ehemanns den Grund für den Ehebruch abgibt oder aber ob umgekehrt der Ehebruch ihn so beschädigt, daß die Benennung als Kapaun sich notwendig ergibt. In einem zweiten Schritt werde ich dann überlegen, worauf die Metapher vom Kastrieren eigentlich zielt, d.h. in welchem Bereich seiner Existenz ein betrogener Ehemann denn nach Auskunft der Texte nun wirklich beschädigt ist.“ (5)
- Das erste Defizit: der defiziente Ehemann
- Beispiele für sexuelle Defizienz des Ehemanns als Ursache für den Ehebruch der Frau: Facetae (Heinrich Bebel), III, 161; Nachtbüchlein (Valentin Schumann), I, 10; Die zwei Beichten B; Katzipori (Michael Lindener), 30; Minnedurst. (5f.)
- Metaphern der Impotenz des Mannes: Kargheit (vgl. Das Almosen), Blindheit (vgl. Die Buhlschaft auf dem Baume A), Nichtwissen (Schimpf und Ernst (Johannes Pauli), 209), Unvermögen (Rastbüchlein (Michael Lindener), 3) (6), Mangel an Kraft und Mut (Der feige Ehemann (Heinrich Kaufringer)) (7)
- Komischer Sinn: „Hier distanziert sich der männliche lachende Zuhörer von einem Versagen, vor dem er ansonsten Angst hat, in der verzweifelten Hoffnung, den (selbstgesetzten) Normen von männlicher und ehelicher Identität besser zu entsprechen als die Verlierer in den Schwänken“. (7)
- Relativierung des Topos‘ der unersättlichen Frau: „Nicht ihr Überschuß an Sexualität gibt das Motiv für die außerehelichen Aktivitäten der Frau ab, sondern sein (wie auch immer narrativ und metaphorisch figuriertes) Defizit an Sexualität erzwingt und legitimiert den Ehebruch geradezu“. (7)
- Das zweite Defizit: der kastrierte Ehemann
- Beispiele für einen großen Schaden für den Ehemann durch die Untreue seiner Frau: Der vertauschte Müller; Das untergeschobene Kalb (Jörg Zobel); Der Wettstreit der drei Liebhaber (Hans Rosenplüt); Der Ritter unter dem Zuber (Jacob Appet); Rollwagenbüchlein (Georg Wickram), 45; Rastbüchlein (Michael Lindener), 16; Der Pfaffe mit der Schnur A; Drei listige Frauen A; Wendunmuth (Hans Wilhelm Kirchhof), III, 247 (8); der Ehemann wird seiner Wahrnehmungsfähigkeit beraubt: Studentenabenteuer A; Rastbüchlein (Michael Lindener), 24; Das Ander Theyl der Gartengesellschaft (Martinus Montanus), 79; Nachtbüchlein (Valentin Schumann), 9 (8); der Schaden liegt in der Verletzung des Körpers des Ehemanns: Der Knecht im Garten (Hans Rosenplüt); Der begrabene Ehemann (Der Stricker); Der Gürtel (Dietrich von der Glezze); Der Herr mit den vier Frauen; Die Rache des Ehemanns (Heinrich Kaufringer); Drei listige Frauen (Erzählstoff); Chorherr und Schusterin (Heinrich Kaufringer) (9)
- „Eine Frau, die ihrem Mann Hörner aufsetzt, kastriert ihn also – folgt man der Logik der zitierten Erzählungen – wirklich total: nicht nur an seiner sexuellen Potenz, sondern auch – wenn er seine Augen, Ohren, Sinnen, selbst der Sprache nicht mehr trauen kann – an seinen Fähigkeiten zur Wahrnehmung und zum Denken; sie beraubt ihn seines Ansehens und seines Besitzes; und nicht einmal mehr seinen Vertrauten kann er glauben.“ (9)
- Komischer Sinn liegt darin, „daß hier ein durchaus befreiendes Lachen evoziert wird, das sich in erster Linie daraus speist, daß man sich über die im Moraldiskurs ansonsten so entschieden postulierten Schranken und Verbote, die offenkundig allseits als Zwangsverhältnis begriffen werden, zumindest in der Vorstellung hinwegsetzt.“ (10f.)
- Das dritte Defizit: der kastrierte Liebhaber
- “Oft wird genau die Beschädigung, die ihm von seiten der untreuen Frau und des ungebetenen Liebhabers zugefügt worden ist, vom Ehemann in seiner Listigen und / oder gewalttätigen Aktion auf eben diese Schädiger verschoben – aber auch hier bleibt am Ende ein Lachen über die erfolgreiche List, über die blamierten Dummen und über die einfallsreiche Verletzung der geforderten Verhaltensnormen.“ (11)
- Beispiele für die Rache an der Betrügerin: Nachtbüchlein (Valentin Schumann), I, 3; Die Rache des Ehemanns (Heinrich Kaufringer); Rastbüchlein (Michael Lindener), 11 (11); Das heiße Eisen (Der Stricker); Der betrogene Gatte (Herrand von Wildonie); Das Schneekind A; Fünfzig Gulden Minnelohn (Claus Spaun); Rastbüchlein (Michael Lindener), 4; Beispiele für Rache am Betrüger: Wendunmuth (Hans Wilhelm Kirchhof), I, 324; Rastbüchlein (Michael Lindener), 3; Der Zehnte von der Minne (Heinrich Kaufringer) (12); Facetae (Heinrich Bebel), III, 161; Der Schreiber; Die Wiedervergeltung (Hans Folz); Rollwagenbüchlein (Georg Wickram), 79; Der Pfaffe im Käsekorb (Schweizer Anonymus); Der Herrgottschnitzer (13); Gartengesellschaft (Jakob Frey), 21 (15)
- „Geradezu nach der Logik des ius talionis strebt in all diesen Erzählungen die Vorstellung nicht nur zur körperlichen Bestrafung des Ehebrechers, sondern zu seiner – realen oder symbolischen – Kastration, womit er dann das wäre, was er aus den Ehemann machen wollte: ein Hahnrei im wahrsten Sinne des Wortes.“ (14)
- Einordnung in unterschiedliche Diskurse, in die der Hahnrei eingeordnet wird:
- So gut wie nie wird das Verhältnis von Mann und Frau in den Bereich der Emotionen eingeordnet (Ausnahme: Das Herzmäre (Konrad von Würzburg)). (15)
- Fast immer bleibt der Ehebrauch private Angelegenheit. (15f.)
- „Die religiöse Dimension von Ehe und Sexualität kommt in diesen Texten partout nicht vor.“ (16)
- Im Register der Sexualität wird der Trieb entweder radikal bejaht oder negiert. (16f.)
- Eheherrliche Gewalt: Die Kapaunisierung des Ehemanns kann mittels Gewalt relativiert werden. (17f.)
- Ökonomischer Diskurs: Der Besitz des Ehemannes ist potenziell gefährdet (z.B. Die drei Mönche von Kolmar (Niemand)). (18)
- Wahrnehmungs- und Denkfähigkeit: wird im Ehebruch beeinträchtigt. (18f.)
- Die Zentralsetzung der Ehe lässt sich dadurch erklären, „daß die Institution Ehe schon beim Adel und mehr noch beim Bürgertum die unterschiedlichsten Funktionen abdecken muß: Ökonomie, Sexualität, Reproduktion, etc. Sie gibt daher einen ausgezeichneten Fokus ab, der es ermöglicht, die verschiedensten Diskurse zu bündeln.“ (19)
- Die Schwänke „handeln von krassen Defiziten, die hin. und hergeschoben werden, und von unabschließbarer Konkurrenz, die bis aufs Blut ausgetragen werden muß. Mit dieser Struktur haben wir ein narratives und ideologisches Gegenmodell etwa zum höfischen Roman, aber auch zu den höfisch-galanten Mären, die beide konsequent auf Konfliktvermeidung abzielen und dazu aggressive Konkurrenz weitgehend ausblenden.“ (19)
- Abschließendes Beispiel für Diskursvielfalt im Eheschwank: Die Treueprobe (Ruprecht von Würzburg) (20f.)