Fischer, Hubertus: Ritter, Schiff und Dame

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Zitation

Fischer, Hubertus: Ritter, Schiff und Dame. Mauricius von Craûn: Text und Kontext. Heidelberg 2006

Beschreibung

Monographie zum Mauricius von Craûn.

Inhalt

  • Einführung
    • Ablehnung der bisherigen Forschung, Kritik der Editionen (7)
    • MvC ist durchsetzt von französischer Liebeskasuistik, weshalb eine Interpretation im Sinne der Hohen Minne fehl geht (10)
    • Handlungslogik „Gewinn durch Verlust“ bestimmt die Erzählung und ist für den modernen Leser befremdlich (11)
    • Konstitutive Bestandteile MvC: Liebe, Turnier und Verschwendung (13)
  • Prolog: Geschichtsmythologie und Lehre der ritterschaft
    • Form, Herkunft, Funktion
      • Herkunft des Prologs aus unterschiedlichen Quellen; vorkommende Gestalten sind aber Gemeingut der ritterlichen Welt, entscheidend ist ihr Platz in der Geschichte des Rittertums (16f.)
      • Teleologie auf Frankreich, da ritterschaft dort ihre höchste Stufe erreicht; legt französische Provenienz des Prologs nahe (17)
      • Funktion des Prologs: Verwurzelung der ritterschaft in der antiken paganen Welt, wodurch ritterschaft als Institution erscheint, die älter als Kirche und Klerus ist => Prolog wird zu einer Art Unabhängigkeitserklärung der ritterschaft (gegen theologisch oder geistlich-moralisch inspirierte Deutungen) (18)
      • Translatio-Idee muss relativiert werden: Keine Übertragung, sondern Logik der Wanderschaft (18ff.)
    • Troja und der Ursprung der ritterschaft
      • Rückprojektion eigener Kriege um 1300 in die Antike, Setzung des Frauendienstes an den Anfang der ritterschaft (22)
      • Essenz des knapp geschilderten Kampfes: Dauer und immense Verluste des Krieges (24)
    • Griechische Lehre der ritterschaft
      • ritterschaft hat seinen selbstgeschaffenen, vorchristlichen und vorkirchlichen Anfang bei den Griechen (28)
      • ritterschaft wird als Frau personifiziert, die Ansprüche stellt und flüchtet, wenn ihr die Zuneigung entzogen wird (29)
      • ritterschaft verlangt Verlustkraft: Die Kraft, Verlust bzw. Schaden an Leib oder Gut zu erleiden (29) => Deshalb verlässt die ritterschaft Griechenland, weil man da dem schaden überdrüssig geworden ist (30)
      • Verallgemeinerung zur Logik feudalen Machterwerbs: Verausgabung bringt Gewinn, Geiz bringt Verlust an Macht und Gefolge (32), wird in der Haupthandlung durchgespielt
    • Cäsar und die römische ritterschaft
      • Nach dem Troja-Teil (Didaxe für Einstellung ggü. äußeren Gütern) kommt Rom-Teil: Didaxe für Einstellung ggü. den inneren Werten der ritterschaft (34)
      • Wer sein Gut für ere einsetzt und verschwendet, der handelt ritterlich; dem widerspricht die christliche Lehre (38) => der MvC macht der Priestermoral den Garaus, indem sie diese Moral ad absurdum führt (38)
      • Gottesgaben gnade und rat sind dazu da, ein ehren- und ruhmvolles Leben zu führen (38)
    • Nero und der Niedergang der ritterschaft
      • Die Nero-Episode muss in ihrem Funktionszusammenhang betrachtet werden (39)
      • Was bei den Griechen die falsche Einstellung zu äußeren Gütern herbeiführt, führt bei Nero die falsche innere Einstellung herbei (39): ritterschaft kultiviert die Geschlechterdifferenz, Nero pervertiert sie durch Effemination und Homosexualität
      • Verankerung des curiositas bei Augustinus, im MvC aber auf die Frau und nicht auf die Seligkeit konzipiert (41ff.): Es führt vor, dass für das männliche Publikum von der Natur des weiblichen Körpers nichts zu wissen ist (42)
    • Karlingen und die Vervollkommnung der ritterschaft
      • Roland und Olivier nehmen die ritterschaft unter ihren Schutz und zu ihrer Geliebten (46)
      • Von deren Kampf gegen die Heiden ist nicht die Rede => weltliche Ausrichtung (47)
      • Das zur Nachahmung vorgestellte Minnemodell ist der gelohnte Frauendienst, nicht die Hohe Minne (49)
      • Ideologische Personifikation der ritterschaft in der Logik der Peregrinatio: Die Aktionsform der Ritter tritt ihnen als selbsttätige Macht entgegen, die Forderungen stellt.
  • Exposition
    • Der Held und seine Geschichte
      • M. ist rühmenswert, weil er beharrlich dienstwillig ist im Sinn der Prologideale (Verausgabung) (52)
      • M. hat kein realhistorisches Vorbild im biographischen Sinn (gegen einen Großteil der Forschung), sondern ist pseudobiographische Namensgebung, die üblich war (53)
      • Die Erzählung ist Produkt der Emanzipation der laikalen Adelskultur und macht höhere (kirchliche) Moral lächerlich (60)
    • Minnelehre: Funktion und Provenienz
      • Minnelehre entfaltet sich als Männerlehre von Männern und für Männer (61)
      • Minnedidaxe füllt die Leerstelle im Prolog: lere der französischen ritterschaft (61)
      • Ablehnung aller Versuche der Forschung, den Minneexkurs in direkte literarische Abhängigkeit zu stellen; die Teile liegen als verbreitetes Register vor (63f.)
    • Minne als market
      • Höfische Liebe gehört mit Schenken zusammen, weshalb das Zerstören der guoten minne mit der Verletzung der Schadenslehre verknüpft ist (64f.)
      • Minne als Handelsgeschäft wird abgelehnt, da die umstandslose Befriedigung der sexuellen Begierde mittels Geld verhindert, dass sich das kultivierende Ritual minne mit arebeit, schade etc. entfalten kann (66)
      • Die Hofkultur in Frankreich bewertet dies analog (67f.)
    • Minnemacht, Opfer und Beständigkeit
      • schade und arbeit werden an die minne als Gewinn gekoppelt, wobei für den französischen Bereich schade ein Zentralbegriff der minne ist (72)
      • Damit ist eine minne-Lehre, eine schade-Lehre und eine staete-Lehre entwickelt (72), wobei staete die Helferin bei der arbeit ist (72)
      • Die Lehre impliziert die sichere Lohngewährung, wobei schade und arbeit in Gutes verwandelt wird (73)
      • Die Minnelehre bezieht sich auf ein theologisches Argument, um es zu widerlegen und höfische Autonomie zu erzeugen (73f.)
    • Minneübel – Männerlehre
      • Minne im market wird als größte Korruption der minne dargestellt (80)
      • Männliches Verhaltensmodell für die minne (83):
        • Der Mann soll zu eigenem Gewinn Frauendienst üben und die Wahl zwischen guten und bösen wiben treffen, da nur die guten lohnen
        • Er soll der dienen, die entsprechend lohnen kann
        • Er soll in Treue dienen und schaden leiden, bis der Erfolg eintritt
        • Er soll sich unter die minne stellen und Verlust in Kauf nehmen
        • Fernhalten von sexueller Verirrung und von Tauschgeschäft der minne
      • Die Frau ist Objekt des Minnehandelns und kommt nur in negativen Aktionen zur Sprache (84)
  • Vom zwifel zum Vertrag
    • Monolog: sic et non
      • Der Monolog hat vorbereitende Funktion für den Minnedialog, der fortwährenden Dienst und Warten auf Lohn in einen vertraglichen Zustand mit Termin überführt (85) => französisches Minnemodell
      • Anwendung des logischen Verfahrens von Abaelard, das er in sic et non entfaltet zur Problemlösung im Minnemonolog (87)
      • Der zwifel von M. bleibt auch nach der Problemlösung erhalten, richten sich jetzt aber auf die Zukunft (90)
    • Dialog: convenientia
      • Diskursive Struktur verbindet Monolog und Dialog: zuerst innerer Diskurs, dann äußerer (91)
      • Lohnforderung durch Mauritius (95):
        • Stellt Tod oder Erlösung zur Auswahl
        • Die Dame verpflichtet sich freiwillig
        • rechtssetzende Sprechakte im Sinne der höfischen Liebesdoktrin
        • Die Dame will den Dienst bereitwillig lohnen
      • Mit Kuss und Umarmung vergeht dem Ritter Mühsal, weil der Vertrag besteht (98)
  • Turnierfahrt
    • Präliminarien
      • Dass die Gräfin bislang noch kein Turnier gesehen hat, kritisiert ihren Mann (102)
      • Grundsätzliche Situation der Konkurrenz zwischen M. und dem Grafen auf historisch verankert (102)
      • Turnier hat im Text eine Funktion des amour courtois (103)
    • Turnierschiff und Brautschiff
      • Vergleich mit dem Brautzug Isabellas von England nach Köln von 1235 (107ff.)
      • Datierung deshalb nach 1235 (112)
    • Turnierschiff und Carroccio
      • Carroccio bietet das Vorbild für die kämpferischen Aspekte des Schiffs; Datierung analog
    • Ausstattung und architectura nacalis
      • Einschlagen des Schiffes mit rotem Scharlach erzeugt roten Glanz, der das Wappen M.s mit der causa amoris verknüpft (124f.)
      • Schiffsbeschreibung soll Erstaunen hervorrufen (125)
      • Anker und Taue manifestieren den verschwenderischen Überfluss durch Zweckwidrigkeit (126), die nicht negativ bewertet wird (127)
    • Funktion und Faszination
      • Turnierschiff lässt sich nur als polysemantisches Gebilde begreifen: Es ist Wunderschiff, das in Erstaunen versetzt und als Repräsentationsobjekt die Verlängerung des Ritterkörpers (131); darüber hinaus: Luxusgefährt, das zur Verschwendung dient (131f.)
      • Religiöse Anspielungen (Arche, Antichrist, Brandan) als scherzhafte, uneigentliche Rede, die auch erotisch aufgeladen ist (134ff.)
  • Turnier
    • Eroberung des Terrains: Ostentation und ritterliche Epiphanie
      • Ankunft des Schiffes, Aufbau des Zeltes und Fest sind Stationen eines gewaltlosen Machtgewinns gegenüber dem Burgherrn (141)
    • Exzess der Munifizenz
      • Turnier zeigt physische und materielle Verausgabung (147)
      • Schiffsverschwendung ist keine Kritik am Rittertum im Sinne der Decadence (152), die Gewalt bei der Gabenverteilung markiert den Unterschied zwischen Ritterschaft und gewöhnlichen Leuten (155)
  • Prunkbett der Liebe
    • Exotik und Erotik
      • Die Bettbeschreibung evoziert durch die kostbaren Bestandteile ein Bild saturnalischen Prunkes auch durch Exotismus (163)
      • Das Salomo-Beispiel hat die Funktion, die erotisch konnotierte descriptio zum Bett-Exempel zu steigern und hat Scharnierfunktion, um einen Vergleich mit M. zu ziehen (171f.)
    • Dichterberufung – Dichtungsberührung
      • Die Bildüberschneidung von Minnebett und Salomobett stellt eine Enttheologisierung des Bildkomplexes dar (174)
  • Vom Kasus zum Kontraktbruch
    • Konstituierung des Falles
      • Streitgespräch zwischen Dame und Zofe läuft nach französischem Vorbild der Tenzone ab, die deutsche Liebesdichtung kann dafür kein Vorbild sein (181)
      • Vordergründig wird der unzeitige Schlaf des Ritters verhandelt, doch er Fall wird ausgeweitet auf die Frage des weiblichen Rechts auf Lohnverweigerung (181)
      • Die Vorbereitungen tendieren dahin, dass vom Erzähler der Schlaf als lässliche Sünde erachtet wird (182)
    • Minnedisput
      • Zofe und Dame sitzen über dem passiv schlafenden Ritter zu Gericht, das Streitgespräch wird im Namen aller Frauen geführt (182)
      • Auch nach Capellanus bedeutet Vertragsbruch Schande für die Dame: Der Verstoß gegen die Regeln der höfischen Liebe ist zugleich ein Verstoß gegen die Regeln der höfischen Gesellschaft (186)
      • Die Dame wird in Gesamthaftung für alle Frauen genommen (186)
      • Zofe wird zum Medium des Interpretation des Minnecasus und stellt die Dame gegen das Interesse der welt (187)
      • Argumentation: Dame vergeht sich gegen den Ritter, handelt gegen die höfische Konvention, schadet den Frauen, raubt den werbenden Männern Hoffnung auf Lohn und gefährdet damit die Existenz der höfischen Gesellschaft (187f.)
      • Die Debatte endet ohne Sieger, aber im Publikum dürfte das Urteil klar gewesen sein (191)
    • Gescheiterte Versöhnung
      • Die Zofe weckt die Dame auf und bittet bei Gott, dass sie M. gewähren lasse, was formelhaft zu verstehen ist (198f.)
  • Schlafkammerburleske
    • Umschlag der Handlung
      • Der Übertritt der Schlafzimmerschwelle ist eine Überschreitung M.s, aber reagiert nur auf die Überschreitung der Dame, die die staete minne aufgekündigt hat; M. kann nicht im Sinne der höfischen Liebe angeklagt werden (202)
      • Der Erzähler öffnet die Gattung kurz zur Burleske, schließt diesen Ausblick aber auch wieder, so dass nicht von einem Schwank zu sprechen ist (202f.)
      • Zuvor hat sich beim Tod des Ritters der Graf disqualifiziert durch sein Trauern (205): Er bezieht sich auf den Kirchenglauben, dass der getötete Ritter zur Hölle bestimmt sei (206) und hat sich damit mit kirchlichem Denken infiziert
      • Rittermoral heißt, den Toten Sankt Michael zu empfehlen und weiterzumachen. Der Heilige steht als Erzvater der Ritterschaft über Priestermoral (207)
    • Wiedergängermärlein und Dementi der Minne
      • Das Motiv des Wiedergängers eines im Turnier getöteten aus der Hölle entstammt klerikaler Propaganda gegen Turniere (209)
      • Der Graf wird der Lächerlichkeit preisgegeben, da er das Schreckensmärlein glaubt und sich mit der Priestermoral infiziert hat (211)
      • Moral: Wer sich von Priestermärlein schrecken lässt, der bringt sich um das Beischlafrecht (213)
      • Der Beischlaf kann kein lon sein, da er nicht aus freiem Willen der Dame geschieht, Mauricius verhält sich als unerotischer Ehemann (215f.)
    • Comjat
      • Der lasterbaere roup bezieht sich auf die fehlende Gegengabe der Dame nach dem Turnier (219)
  • Minnesünde: Bekenntnis und Exempel
    • Minnerecht bricht Eigenrecht
      • Die Gräfin hat mit dem Ritter jede sozial-emotionale Beziehung verloren und auch den Status als begehrte Dame der Gesellschaft (232)
      • Form des Monologs hat Parallelen im Bußsystem (237)
  • Kontexte
    • Kasuistik und Diversität der höfischen Liebe
      • Vorbild für die kasuistische Ausgestaltung der Narration ist die Minnedoktrin des Trobadors und Trouveres, nicht der Hohe Minnesang. Die MvC-Dichtung geht einen Mittelweg zwischen Lyrik und Roman ein: Höfische minne wird gegen Ehe ausgespielt (241)
      • Eine Deutung, die das Liebesparadox in den Mittelpunkt stellt, geht fehl (243)
      • Heimlichkeit als Prinzip: Der Ehebruch wird erst mit seiner öffentlichen Bekanntheit problematisch (246)
      • Französische Orientierung der Dichtung (248)
    • Ambiguität und Komödie
      • Das Vergeuden ist ein wohlkalkuliertes Mittel der Aneignung von Prestige (251): Das Schiff ist eine negative monströse Pointe auf Brauchbarkeit und Nützlichkeit
      • Der Text ist keine Persiflage auf turnieren und geben, sondern eine Geschichte des Begehrens, das aus sich selbst heraus zur Komödie neigt: Das Höchstmaß an Verschwendung neigt notwendig zum Komischen (253)
      • Der Ritter hat sich vor dem Schlaf um der ere willen völlig verausgabt, was zu einem komischen Widerspruch führt: Was der Turnierheld durch Verlust gewonnen hat, hat der Liebhaber im Schlaf verloren (254)
      • Der Gatte weißt Zeichen des Typus der komischen betrogenen Gatten auf, wobei die Orientierung an die vorkirchliche ritterschaft des Prologs die Priestermoral ironisiert (256)