Grunewald, Eckhard: Die Zecher- und Schlemmerliteratur

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Zitation

Grunewald, Eckhard: Die Zecher- und Schlemmerliteratur des deutschen Spätmittelalters. Mit einem Anhang: „Der Minner und der Luderer“. Edition. Inaugural-Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophischen Fakultät der Universität zu Köln. Köln 1976.

Beschreibung

Dissertation zur Zecher- und Schlemmerliteratur des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit. Edition von Minner und Trinker (B418).

Inhalt

1. Einleitung

  • Im Spätmittelalter erfolgt ein Abrücken von höfischen Werten, was sich v.a. im Gegensang niederschlägt. (1f.)
  • Es entsteht eine thematisch geschlossene Gruppe von Texten, in denen Zechen und Schlemmen den Freuden der höfischen Minne entgegengestellt werden. (2)
  • Älteste Textzeugen sind im 13. Jhd. die Zechreden Der unbelehrbare Zecher (Der Stricker) und Der Weinschwelg, gefolgt von den Herbstdichtungen, die neben dem Lob der Trunkenheit auch das Lob der Völlerei aufnehmen, im 14. Jhd. ihren Höhepunkt erreichen und bis ins 16. Jhd. ausstrahlen. (2f.)
  • “Die Dichtungen (...), die durch die Abkehr von der Minne und die Hinwendung zu unmäßigem Essen und Trinken bestimmt sind, werden unter dem Terminus ‚Zecher- und Schlemmerliteratur‘ zusammengefasst“. (4)
  • Seit Mitte des 13. Jhd.s kommen Zeitklagen hinzu, „die den Verlust der Minne und die Hinwendung der höfischen Gesellschaft zu Trunk und Völlerei anprangern“. (5)
  • Die Zecher- und Schlemmerliteratur kann nicht mehr als Indiz ethischen Verfalls verstanden werden. Stattdessen sollen die Texte zunächst in ihrem literarisch-fiktiven Charakter ernst genommen werden. (8)

2. Motivuntersuchung

2.1. Das Motiv des Zechens und Schlemmens in der Epik

  • In der höfischen Epik ist das Motiv randständig und dient der „Bloßstellung unhöfischen Verhaltens“. (11)

2.2. Die Zecher- und Schlemmerthematik in der Trunkenheitsliteratur

  • In der Lehrdichtung des 14. Jhd.s wird zechen und schlemmen als mit ritterlicher Tugend nicht vereinbar dargestellt. (12)
  • Die Trunkenheitsliteratur weist in Folge auf die nachteiligen Auswirkungen der Trunksucht hin. (12)
  • In der didaktischen Kleinepik erscheinen Zecher und Schlemmer als komische Warnbilder. (13)

2.3. Das Motiv der Minneabsage

  • Das Motiv der Minneabsage hat in der Minnelyrik eine lange Tradition. (15)
  • Die für die Zecher- und Schlemmerliteratur charakteristische „Schritt von der Verneinung zur Bejahung des unhöfischen Gegenseins wird nicht vollzogen“. (17)

2.4. Die Antithese von Minne und Luder bei Wolfram von Eschenbach

  • Im „Willehalm“ Wolframs von Eschenbach versuchen die fahnenflüchtigen Soldaten Rennewart von der Schlacht fernzuhalten und setzen dabei Minne und Luder-Leben einander entgegen. (18)

2.5. Die Antithese von Minne und Trunkenheit/Luder in den Zeitklagen

  • In die topischen Gegensatzpaare der Zeitklagen wird ab ca. 1250 auch die Antithese von Minne und Luder aufgenommen. (20)
  • Die Zeitklagen weist z.T. wörtliche Parallelen mit der Zecher- und Schlemmerliteratur auf. (26)

2.6. Ergebnisse der Motivuntersuchung

  • Zecher- und Schlemmerliteratur lässt sich weder vom Ritterroman noch vom höfischen Märe, der didaktischen Literatur oder den Absageliedern herleiten; die Zeitklagen weisen zwar die Antithese Minne-Luder-Leben auf, propagieren aber nicht letzteres. (27)

3. Die Zechreden

  • Thematische Einteilung der Zecher- und Schlemmerliteratur: (28)
    • Zechreden (Lob des Weins, Absage an Minne und Mai)
    • Herbstdichtungen (Lob des Weins, Absage an Minne und Mai, Lob des Schlemmens, Hinwendung zum Herbst)
    • Streitgespräche zwischen Minner und Luderer (Antagonismus von Minner und Luderer)

3.1. Der Stricker: „Der Weinschlund“

  • Im Weinschlund liegt wahrscheinlich der früheste Text vor, in dem der Wein über die Minne gestellt wird. (28)
  • Der Stricker appliziert dabei die Sprache der höfischen Minne auf den Wein (33) und verwendet auch rhetorische Strukturmuster aus dem Minnebereich (36f.).

3.2. „Der Weinschwelg“

  • Auch hier wird die Minne zum Wein der höfischen Minne gegenübergestellt (43), wobei sich der Weintrinker in eine antihöfische Gegengesellschaft begibt. (47f.)

3.3. Zwölf Kräfte des Weins

  • Der Dichter zeigt „eine Entwicklung vom Angenehmen zum Unangenehmen, von der Illusion zur Desillusion“ auf. (52)

4. Die Herbstdichtungen

  • Herbstdichtungen sind einflussreicher als Zechreden und finden sich vom letzten Viertel des 13. Jhd.s bis zur Mitte des 14. Jhd. in lyrischen, epischen und dramatischen Texten. (54)
  • Die Herbstdichtungen stellen Zechen und Schlemmen der Minne und den Herbst dem Mai gegenüber. (54)
  • Nicht Vagantenlyrik, Martinslieder, Fastnachtspiele oder französische Kanzonen, sondern die Zechreden bilden mit ihrer Absage der hohen Minne, des Lobs des Luders und der Abkehr vom Mai die Prätexte für die Herbstdichtungen. (59f.)

4.1. Die Herbstlieder

  • Das im letzten Viertel des 13. Jhd.s entstandene Herbstlied Steinmars ist das erste Gedicht, in dem herbstliche Tafelfreuden über Mai und Minne gestellt werden. (61)
  • Steinmars Herbstlied hebt sich – trotz einiger Parallelen und Übernahmen – durch die Herbst- und Schlemmerthematik von den vorausgehenden Zechreden ab. (64)
  • Herbstlieder in Nachfolge Steinmars verfassen Johannes Hadlaub (ohne Minneabsage, 68), Buwenburg (mit Herbst und Mai als einander ergänzende Prinzipien, 75), Wizlaw von Rügen (Herbstfreuden werden allen Menschen empfohlen, 77), Pseudo-Neidhart (dörperlich-antihöfisch, 77); in „Neidharts Gefräß“ wird die Publikumserwartung nach dem Frühlingseingang zerstört und das Luderleben wird exzessiv gepriesen, wodurch entschieden an Steinmar angeknüpft wird (84f.).
  • Fischart übernimmt „Neidharts Gefräß in seine Geschichtsklitterung als Prosaauflösung (86) verstärkt die grobianischen Aspekte (89) und ignoriert den antithetischen Zusammenhang von Luder und Minne (89).
  • Michel Beheim verfasst in der ersten Hälfte des 15. Jhd.s das Schlemmerlied „Ain gefress“ mit zahlreichen Parallelen zu „Neidharts Gefräß“, betont ebenfalls die grobianischen Züge (91) und stellt den Höhepunkt der hyperbolischen Überspiztung von Schlemmen und Saufen dar (93). Antithesen von Mai und Herbst bzw. Minne und Luderer fehlen. (93)

4.2. Der Streit zwischen Herbst und Mai

  • Der Streit zwischen Herbst und Mai wird zuerst in Herbst und Mai und im Schweizer Spiel „Vom Streit zwischen Herbst und Mai“ im 14. Jhd. greifbar und hat im antiken Jahreszeitenkampf sein Vorbild. (96)
  • Herbst und Mai: Die Gegner „erscheinen als Verkörperungen gegensätzlicher Lebens- und Denkformen“ (101), wobei sowohl Erzähler als auch Personal für den Herbst Partei nehmen (102). Vorbild ist wahrscheinlich Steinmar.
  • “Vom Streit zwischen Herbst und Mai“: Das Spiel greift ebenfalls auf Steinmar zurück, indem Minne/Mai und Herbst/Luderer antagonistisch funktionieren (106). U.a. die Namen Gotelind und Slintezgöu sind aus Helmbrecht (Werner der Gärtner) entnommen (107f.).
  • Das Südtiroler Spiel von „May vnd herbst“ weist zahlreiche Motivparallelen zu „Vom Streit zwischen Herbst und Mai“ auf, unterscheidet sich aber in der komplexeren Struktur von aufeinander Bezogenen Reden und Gegenreden. (110f.)

5.Die Streitgespräche zwischen Minner und Luderer

5.1.Minner und Trinker (B418)

  • Minner und Trinker (B418) ist nach dem „Neidharts Gefräß“ der am breitesten überlieferte Text der Zecher- und Schlemmerliteratur (auch in vielen Bearbeitungen), was für deine Beliebtheit spricht. (116f.)
  • Das Streitgedicht zeichnet sich durch eine inhaltliche Verzahnung von Rede und Gegenrede aus: Die Kontrahenten gehen auf die Argumente des Gegenübers ein. (121)
  • Der Minner ist nicht mehr Repräsentant der höfischen Gesellschaft, sondern ein schlichter heimlicher LIebhaber. (122)
  • Die lange Wirkdauer des Gedichts ist auf seinen überständischen Charakter und seine Loslösung vom höfischen Bereich zurückzuführen. (123)
  • Die Überlieferung lässt sich in zwei Gruppen einteilen. (124) Die Entwicklung der früheren zur späteren Redaktion geht einher mit einer Aufgabe des offenen Gesprächsausgangs, einem Übergang der Führung vom Luderer an den Minner, einer Entwicklung von reiner Unterhaltungsliteratur hin zu moralisierender Lehrdichtung. (128)

5.2. Minner, Spieler und Luderer

  • Die Antithese von Minner und Luderer wird aufgelöst: „Neben die beiden traditionellen Kontrahenten tritt die Figur des Spielers. Minner, Luderer und Spieler erscheinen als Vertreter verschiedener menschlicher Schwächen und Leidenschaften. Keinem von ihnen wird vor seinen Gegnern ein Vorrang eingeräumt; sie wirken vielmehr alle drei in gleichem Maße lächerlich.“ (130)

5.3. Hans Sachs: „Buhler, Spieler und Trinker“

  • In diesem Fastnachtspiel liegt das umfassendste Streitgespräch zwischen Buhler, Spieler und Trinker vor. (130)
  • Als Lehrstück führt das Spiel Buhler, Spieler und Trinker als Vertreter menschlicher Laster vor.: „An die Stelle des Gegensatzes von Minne und Luder tritt ein Nebeneinander von Hurerei, Spiel und Trunkenheit.“ (130)
  • Hans Sachs greift dabei auf Minner und Trinker (B418) zurück (131f.) und schließt die Entwicklung zur moralisierenden Lehrdichtung ab. (133)

5.4. Die sieben größten Freuden

6. Die historischen, sozialen und kulturellen Bedingungen der Zecher- und Schlemmerliteratur

  • Die Zecher- und Schlemmerliteratur ist neben der Neidhart-Schule der fruchtbarste Zweig spätmittelalterlicher Gegendichtung und reicht von der hochhöfischen Zeit bis ins 16. Jhd: (138)
    • Ab ca. 1250: Zechreden (Wein erhebt sich über Minne)
    • Ab dem letzten Viertel des 13. Jhd.s: Steinmars Herbstlied und Nachfolger (in Gegenübersetzung von Herbst/Luder und Mai/Minne)
    • Ab 1300: Streitgespräche zwischen Minne und Luder
  • Gemeinsame Entwicklung der drei Hauptrichtungen: „Die freizügige Darstellung des unhöfischen Luderlebens weicht einer moralisierenden Ächtung unmäßigen Essens und Trinkens. Der zeichenhafte Charakter der Antithese von Minne und Luder tritt zurück, didaktische Erwägungen im Sinne der Trunkenheitsliteratur herrschen vor.“ (138)
  • “Die Zecher- und Schlemmerliteratur kann (...) weder aus dem sozialen und politischen Niedergang bestimmter Kreise des Kleinadels noch aus dem zunehmenden Selbstbewußtsein des wirtschaftlich erstarkenden Stadtbürgertums erklärt werden. Die Träger dieser Literatur sind in der führenden ritterlich-höfischen Gesellschaft zu suchen.“ (141)
  • “Die Zecher- und Schlemmerliteratur steht in scharfem Kontrast zu den in der späthöfischen Gesellschaft vorherrschenden Kultivierungs- und Stilisierungstendenzen; sie bildet gleichsam den Gegenpol zur zunehmenden Normierung des gesellschaftlichen Lebens.“ (144)
  • “Der eigentliche Reiz dieser Texte kann nur vor dem Hintergrund der Normen, die sie absichtlich verletzen, genossen werden, weil er in dieser bewußten Normabweichung selbst besteht.“ (145)

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